Zum Seiteninhalt

Diotoma-Preis an Prof. Dr. Christine Knaevelsrud in Berlin verliehen.

Herausragendes Engagement für traumatisierte Kriegs- und Folteropfer

Prof. Dr. Christine Knaevelsrud hat den diesjährigen Diotima-Ehrenpreis der deutschen Psychotherapeutenschaft erhalten. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ehrt damit in diesem Jahr eine Kollegin, die sich für die Versorgung von traumatisierten Kriegs- und Folteropfern sowohl in Deutschland als auch in arabischsprachigen Krisenregionen engagiert. "Viele der Menschen, die Krieg, Gewalt und Folter erlebt haben, sind traumatisiert und brauchen professionelle Hilfe", stellte BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. "Professorin Knaevelsrud hat mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihrem Engagement in der Versorgung große Dienste geleistet, um traumatisierten Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Krisenregionen selbst zu helfen. Lange bevor Flüchtlinge zu einem dringenden politischen Thema wurden, hat sie sich für deren psychotherapeutische Versorgung eingesetzt und damit sogar auch Hilfsbedürftige im irakischen Bürgerkrieg erreicht. Besser lässt sich unser Credo 'Jeder Mensch und erst recht jeder kranke Mensch ist es wert!' nicht umsetzen."

Millionen Menschen auf der Welt leiden unter Krieg, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Weltweit sind mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Andere harren dort aus, wo Tod und Schrecken alltäglich sind. Seelische Verletzungen sind dabei unvermeidlich. Häufig wirken sie wie das kleinere Übel. Ein Übel sind sie trotzdem und ihre Behandlung bleibt menschliche und medizinische Pflicht.

"Für traumatisierte Menschen in Kriegsgebieten gibt es häufig vor Ort keine professionelle Hilfe. Die Menschen dort bleiben mit ihrem seelischen Leid, ihren Albträumen und Ängsten allein", sagte BPtK-Präsident Munz. "Bei Professorin Knaevelsrud beeindruckt, dass sie nicht nur die Behandlungsmöglichkeiten für geflohene traumatisierte Menschen hier in Deutschland weiterentwickelte, sondern dass sie auch an die weit entfernten Patienten in den Kriegs- und Krisenländern gedacht hat."

Prof. Christine Knaevelsrud erinnerte daran, dass sich die BPtK schon lange vor der aktuellen Flüchtlingskrise für eine bessere Versorgung traumatisierter Menschen eingesetzt habe und dies mit der heutigen Preisverleihung fortsetze. Prof. Dr. Knaevelsrud beschrieb die "globale psychotherapeutische Herausforderung", die durch Kriege und Flucht entstanden sei. Mediengestützte Interventionen könnten helfen, da diese unabhängig vom Aufenthaltsort des Therapeuten und ohne psychosoziale Infrastruktur vor Ort eingesetzt werden könnten. Mit Ilajnafsy - was übersetzt "psychologische Hilfe" bedeute - habe sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ein niederländisches Programm zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen für Menschen im arabischsprachigen Raum kulturell angepasst. Ursprünglich sei es für traumatisierte Menschen im Irak entwickelt worden. Es nutze die Auseinandersetzung mit dem Trauma, indem zu zehn festgelegten Terminen unter verschiedenen Aspekten über das Erlebte geschrieben werde. Dazu gehöre die imaginative Konfrontation mit dem Trauma, die kognitive Neubewertung des traumatischen Ereignisses und das Verfassen eines Briefes über die Bedeutung des Erlebten für das eigene Leben an sich selbst oder an eine vertraute Person. Aktuell gebe es ein arabischsprachiges Behandlungsteam in Deutschland und in Ägypten. Die Behandelnden werden in der Durchführung des Behandlungsprogramms geschult und engmaschig von Psychotherapeuten supervidiert.

Ilajnafsy sei eine nachhaltige Intervention, die in ihrer Wirksamkeit vergleichbar sei mit Behandlungen, in denen sich Patient und Psychotherapeut gegenübersitzen. Grundsätzlich habe sich hierbei gezeigt, dass der Kontakt mit dem Therapeuten auch bei online-basierten Interventionen sehr wichtig sei. Je häufiger Patient und Therapeut miteinander kommunizieren, desto positiver werde die Beziehung eingeschätzt und desto geringer sei das Risiko, dass ein Patient die Behandlung abbreche.

Allerdings sei es nicht einfach gewesen, das Therapieangebot im Irak bekannt zu machen. Dafür seien arabischsprachige Zeitungen und Fernsehsender genutzt worden. Das Programm habe sich aber vor allem über soziale Medien und persönliche Empfehlungen herumgesprochen. Inzwischen werde es auch von Ratsuchenden aus anderen arabischsprachigen Ländern genutzt. In den letzten zwölf Monaten habe es 3.000 Behandlungsanfragen gegeben; die meisten aus Ägypten, Syrien, Irak und Libanon.

Prof. Knaevelsrud betonte, dass die Verbindung von klinischer Kompetenz und innovativen technischen Ideen "eine einzigartige Möglichkeit" sei, Menschen zu helfen, die sonst keine Hilfe erhielten. Nicht überall auf der Welt sei es möglich, dass Menschen dieselbe hochqualifizierte psychotherapeutische Behandlung erhalten, die es in Deutschland gebe, auch wenn dies selbstverständlich erstrebenswert wäre. Aber auch in Deutschland bekommen nicht alle traumatisierten Flüchtlinge, die eine Psychotherapie benötigten, kurzfristig eine Behandlung. Daher könne es sinnvoll sein, Ilajnafsy als Ergänzung oder Überbrückung auch hierzulande einzusetzen.

Prof. Christine Knaevelsrud studierte in Amsterdam und New York Psychologie. Ihre Promotion schloss sie 2005 an der Universität Zürich ab. Sie ist Psychologische Psychotherapeutin und Professorin für Klinisch-Psychologische Intervention an der Freien Universität Berlin.

Von 2007 bis 2015 leitete Prof. Knaevelsrud die Forschungsabteilung am Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin. Neben Ilajnafsy entwickelt sie gemeinsam mit anderen ein computergestütztes Diagnoseinstrument für Patienten, die nicht lesen und schreiben können. Das Programm liest die Fragen in der Muttersprache vor, die Antworten sind dann per Touchscreen möglich. Außerdem untersuchte sie, welche Auswirkungen Anhörungen im Asylverfahren auf die Gesundheit traumatisierter Flüchtlinge haben und schuf Behandlungsmanuale für traumatisierte Menschen, die zum Beispiel aufgrund von Folter unter chronischen Schmerzen leiden. Knaevelsrud war an der Entwicklung der S3-Leitlinie für posttraumatische Belastungsstörungen beteiligt und beschäftigte sich schließlich auch mit der Bedeutung von Vergebung im psychotherapeutischen Prozess.

Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag, lobte den Mut und den Willen der Diotima-Preisträgerin, sich den psychischen Auswirkungen von Krieg und Flucht zu stellen. Sie habe umsetzbare und passgenaue Hilfen für traumatisierte Opfer von Gewalt und Folter entwickelt. Mit ihrer Zuwendung und Hilfe habe sie das Credo "Gewalt- und Kriegserfahrung mit Menschlichkeit begegnen" in besonderer Weise umgesetzt.

Maria Klein-Schmeink dankte auch der deutschen Psychotherapeutenschaft dafür, dass sie sich deutlich und engagiert für die Versorgung von traumatisierten Geflüchteten einsetze. Sie plädierte dafür, sich nicht "auf die Logik und Rhetorik von Angst, Abgrenzung und Menschenfeindlichkeit einzulassen". Die Unantastbarkeit der Menschenwürde sei ein Grundrecht, das für jeden Menschen gelte - auch für Geflüchtete. Immer neue Asylverschärfungsgesetze seien hiermit nicht vereinbar. "Die Menschenwürde ist nicht migrationspolitisch zu relativieren", stellte Klein-Schmeink klar. Die Regelung im Asylpaket II, dass zukünftig posttraumatische Belastungsstörungen kein Abschiebehindernisgrund mehr sein sollen, widerspreche dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.

Es brauche den politischen Willen, Geflüchteten eine Integration in Deutschland zu ermöglichen. Hierzu bedürfe es vor allem Änderungen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem, aber nicht zu Lasten der bereits in Deutschland lebenden Menschen. Die Wartezeiten auf eine Psychotherapie seien schon seit Jahren zu lang.

Es sei daher nicht verwunderlich, dass manche Menschen Angst haben, Geflüchtete könnten ihnen die rare Ressource Psychotherapie wegnehmen. Es sei eine politische Aufgabe, dass "Neid und Angst, von Geflüchteten an den Rand gedrängt zu werden, nicht geschürt werden und die Bereitschaft zu helfen, erhalten bleibt", sagte Klein-Schmeink.

Selbstverständlich müsse es auch darum gehen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Diejenigen, die jetzt vor Krieg, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen fliehen, können jedoch nicht so lange warten. Sie benötigen jetzt unsere Hilfe. Die Bundestagsabgeordnete forderte den Aufbau gesicherter Hilfen. Die gesetzlichen Grundlagen für eine elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete sowie die Ermächtigung zur vertragspsychotherapeutischen und -psychiatrischen Versorgung von Geflüchteten seien ein erster wichtiger Schritt gewesen. Es fehle jedoch insbesondere noch eine gesicherte Finanzierung der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer als "Kerne in dem komplexen Netzwerk der Versorgung traumatisierter Geflüchteter". Grundsätzlich sollte die medizinische Versorgung unabhängig vom rechtlichen Status des Geflüchteten sein. Maria Klein-Schmeink mahnte schließlich an, diese Hilfen auch kultur- und geschlechtergerecht zu gestalten. Hierfür bedürfe es der Finanzierung und Qualifizierung von Sprach- und Kulturmittlern.
29.04.2016
Zum Seitenanfang