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Digitale LPK-Fachtagung "Kinderschutz in der Psychotherapie"

Einem schwierigen, aber sehr wichtigen Thema widmete sich die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz in einer digitalen Fachtagung am 6. November 2023: dem „Kinderschutz in der Psychotherapie“. Psychotherapeut*innen sind einerseits wichtige Ansprechpartner*innen zur Aufarbeitung erlebter (sexueller) Gewalt, anderseits kann es auch im Rahmen von ambulanter und stationärer Psychotherapie zu Grenz- und Abstinenzverletzungen gegenüber Patient*innen kommen.

In verschiedenen Vorträgen wurde beleuchtet, welchen Beitrag Psychotherapeut*innen zum Kinderschutz leisten können, wie man in der Praxis mit Kindeswohlgefährdungen umgeht und welche Schutzkonzepte in psychotherapeutischen Einrichtungen nötig sind. Die Veranstaltung wurde unter Beteiligung des LPK-Ausschusses für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie geplant und durchgeführt.

Katharina Binz, Familienministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sprach ein Grußwort, in dem sie den wichtigen Beitrag der Psychotherapeut*innen zum Kinderschutz betonte: Diese seien zentrale Ansprechpartner für Kinder- und Jugendliche, die Gewalt erfahren haben, und trügen daher eine große Verantwortung im Hilfesystem. Um Betroffene gut zu versorgen, brauche es ausreichend Behandlungskapazitäten. Viel zu häufig bliebe sexuelle Gewalt unbeachtet, daher müsse eine „Kultur des Hinsehens und Zuhörens“ etabliert werden. Mut und Engagement seien der Schlüssel für Veränderungen in der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang ging Frau MInisterin Binz auch auf den „Pakt gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ein“, der im Juni seine Arbeit aufgenommen hat. Auch die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz ist in diesem Experten-Gremium vertreten (weitere Informationen finden Sie hier). Die Ministerin dankte der Kammer für ihr Engagement auf diesem Gebiet und lobte die gute Zusammenarbeit.

Auch Kerstin Claus *, unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) konnte für ein Grußwort gewonnen werden. Sie mahnte, das Kindeswohl müsse stets im Fokus stehen und daher auch zeitnah nach erlebter Gewalt eine Therapie begonnen werden; eine schnelle Traumaintervention sei zentral. Die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage vor Gericht stehe dadurch nicht im Zweifel, wie immer wieder behauptet würde. Um dem Anspruch auf therapeutische Hilfe gerecht werden zu können, müsse das Therapie- und Beratungsangebot ausgebaut werden. Der Bedarf an Therapieplätzen sei noch höher als gedacht, das Dunkelfeld der betroffenen Kinder und Jugendlichen groß, wobei leider verlässliche Zahlen fehlen. Auch Frau Claus dankte der Kammer ausdrücklich für ihr Engagement und versprach: „Sie haben mich an ihrer Seite“.

Kammerpräsidentin Sabine Maur, die die Veranstaltung moderierte, referierte in ihrem Vortrag über „Grenz- und Abstinenzverletzungen in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen“. Sie erläuterte den rechtlichen Rahmen, aus dem das Abstinenzgebot hervorgeht. § 6 der Berufsordnung der LPK RLP gebietet, dass die Beziehung zwischen Psychotherapeut*innen und Patient*innen professionell gehalten werden muss und untersagt jeglichen sexuellen Kontakt, nicht nur mit Patient*innen sondern auch mit ihren Angehörigen. Therapie muss ein geschützter Raum sein, wobei nicht nur die Praxis, sondern auch der digitale Raum mitgedacht werden muss. Frau Maur stellte außerdem Beispiele für Grenzverletzungen aus der Praxis vor und erläuterte die Aufgaben des Berufsstandes zum Schutz von Kindern und Jugendlichen: So sollten die Berufsethik und der ethische Diskurs in der Profession weiterentwickelt werden, außerdem Nebenwirkungen, Abstinenzverletzungen und Behandlungsfehler stärker in Aus-, Fort- und Weiterbildung, in Leitlinien und in der Supervision thematisiert werden. Darüber hinaus müssen Schutzkonzepte in ambulanten und stationären Behandlungseinrichtungen implementiert und Transparenz bezüglich der Beschwerdemöglichkeiten für Patient*innen hergestellt werden.

Jun.-Prof. Dr. Stefanie Jungmann (Psychologische Psychotherapeutin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, stellvertretende Leiterin Psychotherapeutische Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche der Universitätsmedizin Mainz) und Florian Hammerle (Psychologischer Psychotherapeut mit Zusatzqualifikation Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Geschäftsführer der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie und –psychotherapie der JGU Mainz) stellten in ihrem Vortrag „Stationäre und institutionelle Schutzkonzepte“ vor. Onur Kirik (niedergelassener und angestellter Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut) ergänze dies durch seinen Vortrag zu ambulanten Schutzkonzepten. Alle drei Referent*innen sind Mitglieder des Ausschusses für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie der LPK RLP.

Dr. Sabine Ahrens-Eipper (Psychologische Psychotherapeutin, Vertretungsprofessorin am Lehrstuhl für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und –psychotherapie der Universität Greifswald) die kurzfristig für die erkrankte Heike Jokisch als Referentin eingesprungen war, ging auf konkrete Fälle von Kindeswohlgefährdung ein, mit denen sie in ihrer praktischen Arbeit zu tun hatte und erläuterte, wie man im akuten Fall handeln sollte. Sie betonte, dass in jeder psychotherapeutischen Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche behandelt werden, ein strukturiertes Konzept existieren sollte, wie man im Fall einer vermutenden Kindeswohlgefährdung vorzugehen hat. Ansprechpartner*innen, gesetzliche Grundlagen und Vorgehensweisen müssen allen bekannt und jederzeit umsetzbar sein.

Prof. Rita Rosner, Psychologische Psychotherapeutin, Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, widmete sich im letzten Vortrag dem Thema „Traumatherapie mit Kindern und Jugendlichen“, gab praktische Hinweise für die Diagnostik von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und stellte Screeningbögen, Interviewverfahren und klinische Leitfäden vor. Einige Materialien stehen zum freien Download auf der Homepage der Universität Eichstätt-Ingolstadt zur Verfügung:

Ihr Vortrag machte die große Wirksamkeit von Traumatherapie deutlich und ermutigte die Teilnehmer*innen zur traumafokussierten Behandlung. „Traumatherapie hilft! Auch bei komplexer PTBS“, betonte auch die Kammerpräsidentin noch einmal in ihrem Fazit zur Veranstaltung. Die Fachtagung habe gezeigt, wie wichtig die Implementierung von Schutzkonzepten sei - und wie dringend mehr Sitze für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen gebraucht würden, um von Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche besser zu versorgen.

 


 

* Zur Person: Kerstin Claus
Auf Vorschlag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat das Bundeskabinett Kerstin Claus mit Kabinettbeschluss vom 30. März 2022 zur neuen Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) berufen. Sie hat das Amt zum 1. April 2022 übernommen. Ihre Amtszeit beträgt 5 Jahre. Die Journalistin und Systemische Organisationsberaterin Kerstin Claus engagiert sich seit Jahren haupt- und ehrenamtlich gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Sie war u. a. Mitglied im Betroffenenrat beim UBSKM (2015 – 2022) und im Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen (2019 – 2022) und hat Politik und Institutionen zu Fragen der Prävention, Intervention, Hilfen und Aufarbeitung beraten.

Ministerin Katharina Binz; Screenshot

Kerstin Claus (UBSKM); Screenshot

06.11.2023
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