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28.04.2021

Wie geht man mit Verschwörungstheorien in der Psychotherapie um?

Der Glaube an Verschwörungen ist weit verbreitet. Gerade in Krisenzeiten wie in der momentanen Corona-Pandemie scheinen Verschwörungstheorien besonders viel Zuspruch zu finden - oder täuscht dieser Eindruck? Welche psychologischen Grundlagen hat der Verschwörungsglaube und wie hängt dieser mit menschenfeindlichen Aussagen zusammen? Sind Verschwörungstheorien Radikalisierungsbeschleuniger? Und wie geht man mit Verschwörungstheorien und Radikalisierung in der Psychotherapie um?
Diesen spannenden Fragen ging die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz in der Online-Veranstaltung "Verschwörungstheorien & Radikalisierung in der Psychotherapie" am 27. April 2021 nach, die sich in einen Fachvortrag und eine Podiumsdiskussion gliederte. Moderiert wurde die Veranstaltung von Sabine Maur, Psychologische Psychotherapeutin und Präsidentin der LPK RLP.

Als Referentin konnte Pia Lamberty gewonnen werden, die als Sozialpsychologin seit Jahren dazu forscht, warum Menschen an Verschwörungen glauben und welche Konsequenzen dieses Weltbild für die Gesellschaft hat. Gemeinsam mit Katharina Nocun hat sie das Buch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ veröffentlicht und ist außerdem Geschäftsführerin von CeMAS, eines gemeinnützigen Centers für Monitoring, Analyse und Strategie, das interdisziplinäre Expertise zu den Themen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus bündelt.

In ihrem Vortrag zeigte sie zunächst anhand von Daten aus wissenschaftlichen Befragungen, dass der Glaube an Verschwörungen in Deutschland über die letzten Jahre relativ konstant bei 20 bis knapp unter 40 Prozent liegt. Anders als die mediale Berichterstattung es vermuten lässt, ist dieser Anteil während der Corona-Pandemie nicht deutlich gestiegen. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale begünstigen den Glauben an Verschwörungen. Psychologische Motive hinter dem Glauben an Verschwörungen können existentielle Motive, wie das Streben nach Kontrolle und Sicherheit sein, zudem soziale Motive, beispielsweise das Streben nach einer positiven Wahrnehmung des Selbst oder der eigenen Gruppe sowie epistemische Motive, also der Wunsch nach Verstehen und subjektiver Gewissheit. Frau Lamberty ging auch auf den Zusammenhang von Verschwörungsglauben und Gesundheit ein, auf typische Sterotype und das drohende Gewaltpotential. Ob Verschwörungstheorien tatsächlich ein Radikalisierungsbeschleuniger sind, ist noch nicht umfassend untersucht, eine Hypothese ist jedoch, dass der Glaube an Verschwörungstheorien Feinbilder verstärkt, gegen Kritik immunisiert und Gewalt legitimiert. Wichtiges Thema des Vortrages war auch der Glaube an Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, der meist einhergeht mit einer Ablehnung der Schutzmaßnahmen. Gegen Ende des Vortrages erfolgte außerdem eine Gegenüberstellung von Symptomen psychischer Erkrankungen und Verschwörungsglauben, die deutliche Unterschiede aber auch einige Gemeinsamkeiten zeigte.

Auf den fundierten und lebhaften Vortrag folgte eine Podiumsdiskussion, an der außer Frau Maur und Frau Lamberty Frau Dr. Andrea Benecke (Psychologische Psychotherapeutin, Vizepräsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz und der Bundespsychotherapeutenkammer sowie Leiterin der Ausbildungsambulanz der Poliklinischen Institutsambulanz an der Universität Mainz) und Herr Prof. Dr. Sebastian Murken (Psychologischer Psychotherapeut, Honorarprofessor für Religionswissenschaft und Religionspsychologie im Fachgebiet Religionswissenschaft der Philipps-Universität Marburg und Mitglied der Vertreterversammlung der LPK RLP) teilnahmen.
Die Diskussion kreiste zunächst um mögliche Überschneidungen zwischen religiösem Glauben und den beschriebenen Verschwörungserzählungen, wobei Prof. Dr. Murken Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede zwischen Gläubigen und Verschwörungstheoretikern markierte. Im Anschluss fokussierte die Diskussion vor allem auf den Umgang mit Verschwörungserzählungen in der Psychotherapie, wobei Frau Dr. Benecke aus ihren Erfahrungen mit Patient*innen in der Ausbildungsambulanz berichtete. Psychotherapeut*innen sollten deutlich markieren, dass sie den Glauben an Verschwörungserzählungen ihrer Patien*innen nicht teilen und sich auf die zugrundeliegenden Ursachen für den Verschwörungslauben konzentrieren, um eine therapeutische Behandlung zu ermöglichen. Diskutiert wurde auch, in wie weit durch verschwörungsgläubige Psychotherapeut*innen und ihre öffentlichen Äußerungen ein Schaden für die Profession entsteht und wie dem entgegengewirkt werden kann.

Deutlich wurde, dass es an Anlaufstellen für hilfesuchende Angehörige von Verschwörungsgläubigen fehlt. Angeregt wurden Selbsthilfegruppen und weitere niedrigschwellige Angebote für Betroffene sowie für Opfer von zunehmender Hasskriminalität. Hilfreich in der Beratung können Gesprächsleitfäden sein, die Sektenberatungsstellen zur Verfügung stellen.

Abschließend machte Frau Lamberty deutlich, dass sie sich eine „aktivere Zivilgesellschaft“ wünsche, um Verschwörungserzählungen entgegenzutreten. Eine Veranstaltung wie das LPK-Seminar „Verschwörungstheorien & Radikalisierung in der Psychotherapie“ diene der Aufklärung und sei daher ein erster wichtiger Schritt.

Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie auf unserem Padlet.

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