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LPK-Mitglied Dr. Alexandra Wuttke-Linnemann: Psychotherapie bei kognitiven Störungen und Demenz

Die Patientin hatte immer leidenschaftlich gern gekocht, doch es fiel ihr immer schwerer, sich zu erinnern: Wo waren die Gewürze in ihrer Küche zu finden? Wo stand die Auflaufform? Die Gedächtnisschwierigkeiten nahmen zu und so gab sie das Kochen nach und nach ganz auf. Dieses Muster begegnet der Psychologischen Psychotherapeutin Dr. Alexandra Wuttke-Linnemann immer wieder: PatientInnen mit kognitiver Beeinträchtigung oder beginnender Demenz stellen ihre Freizeitaktivitäten ein und ziehen sich zurück, aus Angst, ihre kognitiven Defizite könnten entdeckt werden. Doch der Rückzug verschlimmert häufig den Gesamtzustand, manchmal stellen sich depressive Störungen ein. Durch die Verhaltensänderungen kommt es zudem häufiger zu Streit mit den Angehörigen, die sich wie die PatientInnen an die neue Situation gewöhnen müssen. Psychotherapie kann beiden Seiten helfen –  im Idealfall bevor es zu einer Depression kommt.

LPK RLP-Mitglied Frau Dr. Wuttke-Linnemann hat sich auf ältere PatientInnen und deren pflegende Angehörige spezialisiert: die 30-jährige ist stellvertretende Leiterin des Zentrums für psychische Gesundheit im Alter (Landeskrankenhaus), welches sich schwerpunktmäßig mit präventiven Maßnahmen bei pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz beschäftigt. Außerdem ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsmedizin Mainz und arbeitet als Psychotherapeutin in der Abteilung für Gerontopsychiatrie der Rheinhessen-Fachklinik Alzey in der ambulanten Versorgung von Menschen mit Altersdepression und beginnender Demenz. Schon während ihres Studiums in Marburg waren ältere und demente PatientInnen, vor allem im Fach Neuropsychologie, ein wichtiges Thema für sie. Es faszinierte sie, wie Menschen mit kognitiven Schwierigkeiten sich an die neue Lebenssituation anpassten.
Die Prävalenz für depressive Störungen ist über die Lebensspanne ungefähr gleich, erklärt Frau Dr. Wuttke-Linnemann. Bei älteren PatientInnen sind Depression und Demenz die beiden häufigsten psychischen Erkrankung, auch Angststörungen treten oft auf. Obwohl der Prozentsatz der älteren Menschen in der Bevölkerung zunimmt, ist der Anteil der Altersgruppe ab 65 unter den PatientInnen in psychotherapeutischer Behandlung in Relation dazu geringer. Sowohl auf Seiten der PatientInnen als auch auf Seiten der Behandler überwiegen manchmal Skepsis gegenüber dem Sinn und Nutzen von Psychotherapie bei Älteren. Einige ältere PatientInnen vertrauen lieber nur ihrem Hausarzt und medikamentöser Behandlung. Sie sind skeptisch: kann reden wirklich helfen? „Lohnt“ sich eine Psychotherapie am Ende des Lebens noch? Doch diejenigen PatientInnen, die den Weg in ihre Therapiegruppe gefunden haben, empfindet Frau Dr. Wuttke-Linnemann als sehr offen der Psychotherapie gegenüber, denn das Altern stellt vielfältige neue Herausforderungen, bei deren Bewältigung Psychotherapie helfen kann.

Die Diagnose „Demenz“ kann heute häufig schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Erkrankung gestellt werden; teilweise stehen die PatientInnen dann sogar noch im Berufsleben. Gerade am Anfang der Erkrankung kann durch kleine Weichenstellungen viel bewirkt werden und eine depressive Erkrankung verhindert werden, so Frau Dr. Wuttke-Linnemann. Die lange Biografie der PatientInnen findet Frau Dr. Wuttke-Linnemann therapeutisch besonders interessant, hier lässt sich viel Gewinnbringendes herausarbeiten. Häufig geht es dabei um essentielle Ereignisse, um Tod und Verlust. Im Bereich der Gerontopsychotherapie gibt es spezielle Interventionen, die den Einbezug der Biographie in den Therapieprozess zum Ziel haben, wie zum Beispiel die Lebensrückblickanalyse, die am Lebensabend einen wohlwollenden Rückblick auf das eigene Leben ermöglichen soll.
Die Psychotherapie mit älteren, kognitiv beeinträchtigten PatientInnen unterscheide sich jedoch nicht wesentlich von der Therapie mit jüngeren PatientInnen, erklärt Frau Dr. Wuttke-Linnemann. Manches müsse allerdings angepasst werden: die Sitzungen sind meist von kürzerer Dauer und finden dafür häufiger statt. Es wird viel mit Erinnerungskarten gearbeitet, die für jede Sitzung festhalten, was besonders wichtig war und erinnert werden soll. Der verbalen Notiz werden Symbole und Bilder vorgezogen, die bei der Verankerung des Gelernten helfen sollen. Zwischen den Sitzungen werden die PatientInnen manchmal angerufen, um mit Fragen und Erinnerungen die Therapieziele präsent zu halten.

Besonders wichtig sei von Anfang an die Einbeziehung der Angehörigen. Vor allem, wenn sie für die Pflege des oder der Erkrankten zuständig sind, haben sie ein hohes Risiko, selbst eine psychische Störung zu entwickeln. Dr. Alexandra Wuttke-Linnemann bietet daher ein so genanntes „Dyadisches Therapieprogramm“ an, wobei eine Dyade (von dem lateinischen Wort „dyas“, also „Zweiheit“ abgeleitet) jeweils die/den PatientIn und eine/einen Angehörige(n) meint. Meist handelt es sich dabei um die/den PartnerIn, aber auch das eigene Kind oder gute Bekannte können die zweite Hälfte der Dyade sein. Die dyadische Therapie wird als Gruppentherapie mit bis zu fünf Paaren angeboten. Beide Teile der Dyade sollen gleichberechtigt behandelt werden, die Bedürfnisse von beiden sollten erfüllt werden, wobei die Therapie kognitiv dem Level der PatientInnen angepasst werden muss. Ist die/der PatientIn bereits zu schwer betroffen für eine Gruppenpsychotherapie, so können pflegende Angehörige im Rahmen einer psychotherapeutischen Kurzintervention ambulant unterstützt werden.
Die Erkrankung kann dazu führen, dass sich die Beziehung von einer Partnerschaft auf Augenhöhe zu einem Verhältnis zwischen PatientIn und Co-TherapeutIn entwickelt. In der Therapie lernen die Dyaden durch Kommunikationstraining und das Sprechen miteinander statt übereinander, diese ungünstige Entwicklung zu vermeiden. Neben Elementen der Paartherapie enthält jede Sitzung Psychoedukation zur Erkrankung Demenz oder verschiedenen Aspekten des Alterns. Besonders wichtig ist in der Therapie außerdem der positive Aktivitätenaufbau. Zusammen wird überlegt: was können PatientIn und Angehörige weiterhin jeder für sich unternehmen und was gemeinsam? In der Regel entwickle sich in der Therapie eine gute Gruppendynamik und die Dyaden träfen sich auch untereinander, berichtete Frau Dr. Wuttke-Linnemann. Sie arbeitet mit den Dyaden meist ein halbes bis zu einem Jahr zusammen. Danach sei es für die PatientInnen gut, wieder in den Alltag zurück zu kehren und die in der Therapie eingeübten Problemlösungsstrategien in die Praxis umzusetzen. Die Lösung kann manchmal so einfach sein und eine kleine Änderung kann viel bewirken, wie Frau Dr. Wuttke-Linnemann unterstreicht. Die eingangs erwähnte Patientin beispielsweise hat gemeinsam mit ihren Angehörigen ihre Küchenregale beschildert, um alle Zutaten und Küchenwerkzeuge wieder zu finden. Nun kann sie trotz kognitiver Beeinträchtigung wieder mit Freude kochen.

Die LPK RLP dankt Frau Dr. Alexandra Wuttke-Linnemann herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.

Dr. Alexandra Wuttke-Linnemann

13.03.2019
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