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LPK-Mitglied Christian Rölz: Zwischen Streetwork und Beratungsstelle

Im Jahr 2020, mitten in der Corona-Pandemie, wurde in Mainz das einzigartige Modell-Projekt „we care Mainz“ ins Leben gerufen. Es verbindet aufsuchende Sozialarbeit mit intensiver Einzelfallhilfe; Träger ist der Caritasverband Mainz. Ziel ist es, junge Menschen in schwierigen Lebenslagen zu erreichen und ihnen den Weg ins bestehende Hilfesystem zu vermitteln. Das Team der Projektmitarbeiter*innen besteht aus sechs Personen, von denen fünf einen sozialpädagogischen Hintergrund haben. Besonders ist, dass der sechste Projektmitarbeiter ein Psychologischer Psychotherapeut ist: Christian Rölz, frisch approbiert seit April dieses Jahres und Mitglied der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz.

Nach dem Studium an der Universität Koblenz-Landau und der Ausbildung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie entschied er sich für eine Tätigkeit jenseits der klassischen Therapiepraxis: „Ich hatte Lust, mich auszuprobieren und der sozialpädagogische Bereich hat mich schon immer interessiert“, erzählt er. Schon früher hatte er für die Lebenshilfe gearbeitet, unter anderem in der Kinderbetreuung. Die Ausschreibung von „we care Mainz“ kam also gerade recht. Gemeinsam mit seinen Kolleg*innen sucht er nun mit dem Projekt-Bus junge Menschen auf der Straße, in Parks oder Freizeiteinrichtungen auf, verteilt Getränke und Süßigkeiten und fragt, wer Hilfe braucht oder wer jemanden kennt, der Unterstützung benötigt. Das Team führt auch Veranstaltungen wie Graffiti- und Selbstverteidigungskurse durch, um junge Menschen zu erreichen. Bei dieser aufsuchenden Arbeit stößt das Team häufig auf Skepsis, wie Herr Rölz erzählt. Viele der Angesprochenen lehnen höflich aber bestimmt ab, manche reagieren verärgert. Besonders traumatisierten Jugendlichen mit Fluchterfahrung fällt es häufig schwer, Hilfe anzunehmen, hat Rölz beobachtet. „Diejenigen, die am meisten Hilfe brauchen, sind am schwersten zu erreichen“. Immer wieder stoßen die Projektmitarbeiter aber auch auf junge Menschen, die offen für ihr Angebot sind. Diese nutzen dann eventuell auch die Beratungsstelle von „we care Mainz“, wo Ihnen eine Waschmaschine, eine Dusche und ein PC mit Internetzugang zur Verfügung stehen.

Viele der jungen Leute haben finanzielle Probleme, sind von Wohnungslosigkeit bedroht oder obdachlos, haben schulische Schwierigkeiten oder kämpfen mit beruflicher Perspektivlosigkeit. Häufig kommen toxische Beziehungen mit der Familie hinzu und auch Suchtprobleme sind weit verbreitet. „We care Mainz“ versucht dann, bei Existenzsicherung und Stabilisierung zu helfen, wenn möglich beispielsweise auch zum Jobcenter, zur Sucht- oder Schuldnerberatung zu vermitteln. Dabei lernt man das Hilfesystem der Stadt Mainz gut kennen, berichtet Christian Rölz. Netzwerk-Arbeit macht einen großen Teil seiner Tätigkeit aus. Ziel ist es, das Projekt „we care Mainz“ nicht nur unter Hilfesuchenden, sondern auch unter Behandler*innen und anderen helfenden Stellen bekannt zu machen.

Christian Rölz ist im Tandem mit den Sozialarbeiterinnen tätig, die die jungen Menschen beispielsweise bei Behördengängen und Anträgen unterstützen. Wenn psychische Schwierigkeiten deutlich werden, verweisen die Sozialarbeiterinnen an den Psychotherapeuten. Er kann dann bis zu acht Sitzungen psychologische Beratung anbieten und versucht in dieser Zeit zu klären, ob eine Psychotherapie nötig ist. Allerdings ist die Überführung in die Regelversorgung schwierig: Nicht nur aufgrund der angespannten Versorgungssituation und den langen Wartezeiten, sondern auch, weil bei den Betroffenen die Bereitschaft, sich auf eine Therapie einzulassen, häufig gering ist. Meist gibt es für sie dringendere Probleme als die eigene psychische Gesundheit. Vielen fällt es zudem schwer, Termine einzuhalten, berichtet Herr Rölz. So seien in der Beratung immer nur sehr kleine Schritte möglich, häufig bleibe die Interaktion kurz und man sehe die jungen Menschen nach dem ersten Gespräch nie wieder. Das könne auch manchmal frustrierend sein, zumal die Beratung oft aufgrund der Umstände oberflächlich bleibe.

Manchmal gelinge es aber auch, den Betroffenen zum entscheidenden Zeitpunkt wichtige Hilfestellung zu geben, so dass gute Erfolge sichtbar würden und man dankbare Rückmeldungen bekomme. Wichtig seien vor allem Motivationsarbeit und das Herausarbeiten der Ressourcen und Stärken der Betroffenen, also das „Empowerment“. Dabei versucht Rölz „auf Augenhöhe“ zu beraten, auch wenn er sich seiner privilegierteren Stellung bewusst ist. Ihm gefällt, dass es sich um eine sehr pragmatische und flexible Form der Hilfe handelt, die „we care Mainz“ anbietet. Es sei eine autonome und sinnvolle Tätigkeit, zudem mag Rölz das Arbeiten im Team. „Der Job tut mir gut“ konstatiert er.

Die Pandemie-Bedingungen haben den Start des Projektes erschwert, noch immer befindet sich „we care Mainz“ daher in der Aufbauphase. Gefördert wird das Projekt vom Jobcenter und der Stadt Mainz, zunächst bis Ende nächsten Jahres. Kammermitglied Rölz hofft, dass es auch darüber hinaus weitergeht und der Projekt-Bus weiter rollt – um diejenigen zu unterstützen, die selbst nicht die Ressourcen haben, sich einen Psychotherapieplatz zu erkämpfen.

Die LPK RLP dankt Christan Rölz herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.

LPK-Mitglied Christian Rölz

Der Projekt-Bus, mit dem das Team bei der Arbeit auf der Straße unterwegs ist.

09.11.2022
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