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Digitalisierung und Psychotherapie: Bessere Versorgung für psychisch kranke Menschen?

Die zunehmende Digitalisierung aller Gesellschaftsbereiche bringt auch für das Gesundheitswesen große Veränderungen mit sich. So widmete sich der diesjährige „Zukunftskongress" der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (ZIRP), der am 3. und 4. September 2019 in Koblenz stattfand, dem Thema „Gesundheit digital“.
Sabine Maur, Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, referierte in diesem Rahmen über Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Psychotherapie. Wird die Digitalisierung die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen verbessern? Ist sie ein Heilmittel gegen die Versorgungsprobleme, die auch in Deutschland existieren – etwa die inakzeptabel langen Wartezeiten auf psychotherapeutische Behandlung oder die häufig nicht spezialisierte Behandlung psychisch kranker Menschen?

Schon jetzt existiert eine Vielzahl von digitalen Anwendungen, die der psychischen Gesundheit dienen sollen. Allerdings ist der Markt unüberschaubar und nicht reguliert. Es mangelt an Wirksamkeitsnachweisen, Datenschutz, Krisenmanagement (beispielsweise bei Suizidalität) und einer Kontrolle der Qualifikation der LeistungserbringerInnen. Diese fehlende Regulierung kann die Patientensicherheit gefährden.

Es gibt dennoch auch Beispiele für vielversprechende digitale Innovationen im Bereich der psychischen Versorgung: So etwa eine App, die bei bipolaren Störungen manische bzw. depressive Phasen früher als die betroffene Person selbst erkennt. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass wichtige Phasenveränderungen bei bipolaren Menschen früher erkannt und behandelt werden können, was zur Reduktion von Klinikaufenthalten führen könnte. Zur Therapie von Angststörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen können zukünftig möglicherweise Virtual-Reality-Brillen eingesetzt werden; auch Serious Games bergen Potential für die Mitbehandlung psychischer Erkrankungen, besonders bei jungen PatientInnen.
 
Sehr heterogen zu bewerten sind Online-Trainings und Online-Therapien, die beispielsweise von Krankenkassen, aber auch auf dem so genannten zweiten Gesundheitsmarkt angeboten werden. Während die Krankenkassen in der Regel ihr digitalen Angebote professionell entwickeln und evaluieren lassen, gibt es daneben auf dem zweiten Gesundheitsmarkt viele unregulierte und teils fragwürdige Onlineangebote, die nicht selten die Patientensicherheit gefährden. Nur in Ausnahmefällen wird die Nutzung dieser Angebote durch approbierte PsychotherapeutInnen oder ÄrztInnen begleitet. Diese professionelle Begleitung ist allerdings für eine erfolgreiche und sichere Anwendung der digitalen Angebote unerlässlich. Die Verbindung von herkömmlicher Face-to-Face Psychotherapie mit digitalen Interventionen („Blended Therapie") ist vielversprechend und wird in den kommenden Jahren sicher verstärkt Eingang in die ambulante Versorgung finden. Es müssen hierfür allerdings noch Rahmenbedingungen für die LeistungserbringerInnen geschaffen werden, beispielsweise bezüglich der Abrechnungsmöglichkeiten und der technischen Voraussetzungen.

Dass Internet- und mobilgestützte Interventionen („IMI") für die Behandlung einer Reihe von psychischen Erkrankungen wirksam sind, ist mittlerweile durch wissenschaftliche Studien belegt.  Digitale Interventionen haben ein Innovationspotential insbesondere im Hinblick auf bessere Diagnostik und die Versorgung von Patientengruppen, die durch Face-to-Face-Psychotherapien bisher nicht ausreichend erreicht werden konnten. Die Studien zeigten, dass IMIs mit psychotherapeutischer Begleitung deutlich größere Therapieerfolge erzielen als IMI ohne Unterstützung. Obwohl nun Evidenz für die Wirksamkeit komplexer und mobil-gestützter Interventionen vorliegt, ist bisher kaum etwas davon in der Regelversorgung angekommen. Um dies zu ändern, müssen folgende Aufgaben in Angriff genommen werden: 
  • Es muss eine geeignete Struktur zur (abgestuften) Nutzenbewertung, Qualitätssicherung und Datensicherheit von Apps und online-basierten Interventionen geschaffen werden, und zwar für PatientInnen und für LeistungserbringerInnen (vergleichbar beispielsweise mit Arzneimitteln und Medizinprodukten).
  • Der aktuelle Datenschutz-Standard in vielen Apps muss deutlich verbessert werden, da Daten über die psychische Gesundheit besonders schützenswert sind.
  • Die Diagnose und Indikationsstellung muss approbierten PsychotherapeutInnen und ÄrztInnen vorbehalten bleiben. Die im Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG) vorgesehene Öffnung zur Verordnung durch Krankenkassen ist systemfremd und gefährdet potentiell die Gesundheit der Versicherten. Es darf keine Vermischung von Versorgung und Versicherung geben.
  • PatientInnen brauchen digitale Gesundheitskompetenz, die beispielsweise durch PatientInnen-Schulungen gefördert werden sollte.
  • Digitale Inhalte müssen im Medizin- und Psychologie-Studium verankert werden, da ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen bisher nicht ausreichend auf die digitalen Heraufforderungen und Chancen im Gesundheitswesen vorbereitet werden. Zudem sollten entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote geschaffen werden.
Zusammenfassend schloss die LPK-Präsidentin, dass digitale Anwendungen zwar nicht die aktuellen Versorgungsprobleme magisch lösen werden und sie nur unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll genutzt werden können, ihr Potential und ihre teils evidenzbasierte Wirksamkeit aber zukünftig verstärkt in die Regelversorgung einfließen sollten.

09.09.2019
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