Zum Seiteninhalt

Ministerpräsident Alexander Schweitzer im Interview mit der LPK RLP

Wie denkt das Oberhaupt der rheinland-pfälzischen Landesregierung über wichtige Fragen rund um die psychische Gesundheit? Welche Maßnahmen ergreift Rheinland-Pfalz beispielsweise, um psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen zu helfen? Welche Rolle soll die Psychotherapie im neuen Katatsrophenschutzgesetz spielen? Wie steht der Ministerpräsident zu der diskutierten Meldung und Registrierung psychisch erkrankter Menschen? Diese und andere Fragen hat Ministerpräsident Alexander Schweitzer der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz (LPK RLP) im Interview beantwortet:

LPK RLP: Herr Ministerpräsident Schweitzer, es ist noch nicht so lange her, dass über psychische Erkrankungen nicht gesprochen wurde – teils aus Scham, teils aus mangelndem Verständnis für die Art der Erkrankung. Anders als heute war psychische Gesundheit kein Thema im öffentlichen Diskurs.
Können Sie sich an einen politischen oder persönlichen Moment erinnern, der Ihnen den Stellenwert psychischer Gesundheit besonders deutlich gemacht hat?


Alexander Schweitzer: Einen speziellen Moment habe ich zwar nicht im Gedächtnis, aber ich nehme deutlich wahr, dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein für psychische Gesundheit in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert hat. In vielen Gesprächen, beruflich wie privat, erlebe ich, dass Menschen mittlerweile offener über psychische Erkrankungen sprechen – entweder, weil sie selbst betroffen sind oder als Angehörige. Das ist eine gute Entwicklung, denn psychische Gesundheit verdient genauso viel Aufmerksamkeit und Unterstützung wie körperliche Gesundheit. Es ist wichtig, offen über psychische Belastungen und Erkrankungen zu sprechen und Hilfsangebote sichtbar und zugänglich zu machen. Deshalb setze ich mich auch für mehr Offenheit, bessere Hilfsstrukturen und eine frühzeitige Prävention ein. 


Alexander Schweitzer: "Psychische Gesundheit verdient genauso viel Aufmerksamkeit und Unterstützung wie körperliche Gesundheit."


LPK RLP: Wie aktuelle Zahlen des Deutschen Jugendinstitutes belegen, ist rund jeder sechste junge Mensch in Deutschland psychisch belastet. Auch in Rheinland-Pfalz leiden viele junge Menschen unter den aktuellen Krisen und Kriegen, Zukunftsängsten, den Nachwirkungen der Corona-Pandemie, Einsamkeit, aber auch unter Mobbing und Notendruck. Der Zugang zu Hilfe ist oft schwierig: Es gibt zu wenige Psychotherapieplätze, Schulsozialarbeiter*innen und Entlastungsangebote. Besonders Familien mit wenigen Ressourcen fällt es oft schwer, sich Unterstützung zu organisieren.
Wie ernst nehmen Sie diese Problematik? Welche Maßnahmen ergreift Rheinland-Pfalz um gegen zu steuern?

Alexander Schweitzer: Ich nehme diese Problematik sehr ernst – die Zahlen, die uns das Deutsche Jugendinstitut vorlegt, sind beunruhigend und zeigen deutlich, wie groß der Druck auf viele junge Menschen in unserem Land ist. Gerade die zahlreichen Herausforderungen der letzten Jahre – Krisen, Kriege, Pandemie, Einsamkeit, Mobbing, schulischer Druck und auch die Dauerpräsenz der sozialen Medien – wirken sich negativ auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus.

In Rheinland-Pfalz haben wir daher klare Prioritäten gesetzt: Wir wollen den Zugang zu Hilfe deutlich verbessern. Das bedeutet konkret, dass wir uns für eine Überarbeitung der Bedarfsplanung für Psychotherapie einsetzen, mehr Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter einstellen und zusätzliche Entlastungsangebote schaffen. Besonders Familien mit weniger Ressourcen wollen wir besser unterstützen, damit sich hohe Belastungen nach Möglichkeit gar nicht erst zu psychischen Risikofaktoren entwickeln. Mein Ziel ist es, dass jedes Kind in Rheinland-Pfalz unabhängig von Herkunft und familiären Ressourcen Zugang zu qualifizierter Hilfe bekommt.

Ein weiterer wichtiger Punkt, um den Zugang zu Hilfe zu verbessern, ist das im Koalitionsvertrag festgehaltene Ziel, psychiatrisch-psychotherapeutische Unterstützungsangebote besser sichtbar zu machen. Hierfür hat die Landeszentrale für Gesundheitsförderung das psychNAVi unter fachlicher Begleitung und Finanzierung des Gesundheitsministeriums entwickelt. Das psychNAVi ist eine Webseite, auf der die Angebote des psychiatrisch-psychotherapeutischen Hilfesystems in Rheinland-Pfalz abgebildet sind, damit Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften die Suche nach einem passenden Angebot erleichtert wird. 

LPK RLP: Bei vergangenen Großschadensereignissen wie der Amokfahrt in Trier im Dezember 2020 und dem Ahrtal-Hochwasser im Juli 2021 hat die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz in enger Abstimmung und in guter Kooperation mit dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung sowie dem Landesamt für Soziales, Jugend, und Versorgung (LSJV) und mit dem Opferbeauftragten schnell gehandelt und konnte dank des großen Engagements ihrer Mitglieder zahlreiche betroffene Rheinland-Pfälzer*innen psychotherapeutisch unterstützen.
Allerdings gab es bisher keine verbindlichen Strukturen, die die schnelle Unterstützung durch Psychotherapeut*innen in Großschadenslagen regeln. In Rheinland-Pfalz wurde nun der Katastrophenschutz neu aufgestellt und das neue Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz gegründet. Welche Rolle kommt Psychotherapeut*innen und psychischer Gesundheit gemäß dem neuen Katastrophenschutzgesetz zu und wie kann eine zuverlässige Überleitung aus der akuten Lage in das Gesundheitswesen gelingen?


Alexander Schweitzer: Die vergangenen Großschadensereignisse – sei es die Amokfahrt in Trier oder die verheerende Flut im Ahrtal – haben uns allen eindrücklich vor Augen geführt, wie wichtig die psychische Versorgung in solchen Extremsituationen und in der Zeit danach ist. In Zusammenarbeit mit der Landespsychotherapeutenkammer, dem Gesundheitsministerium, dem Sozialministerium und weiteren Institutionen konnten wir bereits viel bewirken. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal zum Beispiel haben die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Land mit der LPK umgehend und unkompliziert Hilfe organisiert. Sei es über das Angebot von Behandlungsterminen über die Hotline für Betroffene aus den Flutgebieten, die der Landesopferbeauftragte mit Unterstützung der LPK und der Kassenärztlichen Vereinigung anbieten konnte. Aber auch vor Ort wurde sehr niedrigschwellig Entlastung und Aufklärung im Projekt „Sofort aktiv“ der LPK angeboten, das durch das MWG gefördert wurde. Ich bin sehr dankbar für das außerordentliche Engagement der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Rheinland-Pfalz, die schnell und professionell geholfen haben. Das war beeindruckend – aber es hat sich auch gezeigt, dass wir für Krisensituationen dauerhafte und verlässliche Strukturen brauchen.

Genau deshalb haben wir im Zuge der Neuaufstellung des Katastrophenschutzes und mit der Gründung des neuen Landesamtes für Brand- und Katastrophenschutz erstmals die psychische Gesundheit systematisch im Katastrophenschutzgesetz verankert. Psychosoziale Notfallversorgung ist jetzt ein fester Bestandteil der Gefahrenabwehr. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten spielen dabei eine zentrale Rolle – nicht nur in der akuten Krisenintervention, sondern auch in der Begleitung der Betroffenen in der Zeit danach.

Wesentlich ist für mich auch, dass es eine verlässliche und koordinierte Überleitung vom akuten Einsatz in das reguläre Gesundheitswesen gibt. Dazu gehören klare Zuständigkeiten, feste Ansprechpartner, finanzielle Absicherung und eine gute Abstimmung zwischen Katastrophenschutz, Gesundheitswesen und den Berufsgruppen. Nur so können wir sicherstellen, dass Menschen, die Schreckliches erlebt haben, nicht allein gelassen werden – weder in den ersten Stunden noch in den Wochen und Monaten danach. Psychische Gesundheit ist für mich unverzichtbarer Teil einer ganzheitlichen Katastrophenhilfe, und ich setze mich dafür ein, dass Rheinland-Pfalz hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Bei dieser Entwicklung ist die LPK ein wichtiger Partner des Landes. 


 Alexander Schweitzer: "Ich bin sehr dankbar für das außerordentliche Engagement der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Rheinland-Pfalz."


LPK RLP: Nach schrecklichen Gewalttaten wie Messerattacken und Amokfahrten heißt es immer wieder, die Täter seien „psychisch krank“ und der Ruf nach einem besseren Schutz der Bevölkerung wird laut. Unser Nachbarbundesland Hessen diskutiert einen Gesetzentwurf, der vorsieht, dass Personen, die aus einer Psychiatrie entlassen werden, den Ordnungsbehörden gemeldet werden sollen – vorausgesetzt, sie befanden sich in Behandlung, weil sie eine Gefahr für andere waren und es besteht nach der Entlassung aus medizinischer Sicht die Sorge, dass ohne weitere ärztliche Behandlung eine Fremdgefährdung von ihnen ausgehen könnte. Die Psychotherapeutenkammern sehen solche Vorhaben sehr kritisch. Die Bereitschaft von Menschen mit psychischen Erkrankungen, sich in Behandlung zu geben, sinkt mit zunehmender Angst vor Stigmatisierung.
Wie stehen Sie zu der Meldung und Registrierung psychisch erkrankter Menschen? Wird ähnliches für Rheinland-Pfalz geplant?


Alexander Schweitzer: Ich verstehe die Sorgen und den Wunsch nach mehr Sicherheit vieler Menschen insbesondere nach so schrecklichen Gewalttaten. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, sehr sensibel und verantwortungsvoll mit dem Thema psychische Erkrankung umzugehen. Ich bin der festen und wissenschaftlich fundierten Überzeugung, dass psychische Erkrankungen nicht mit Gewaltbereitschaft gleichzusetzen sind. Im Gegenteil sind Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr viel öfter Opfer von Gewalttaten als Täter. Vielmehr brauchen wir eine Politik, die auf Prävention, niederschwellige und sektorenübergreifende Behandlung und Entstigmatisierung setzt, damit Menschen mit psychischen Erkrankungen die Unterstützung bekommen, die sie brauchen – ohne Angst vor Ausgrenzung und falschen Zuschreibungen.

Zu Meldungen oder Registrierungen von psychisch erkrankten Menschen stehe ich daher sehr kritisch. Solche Maßnahmen sind nach meinem Dafürhalten kontraproduktiv und können dazu führen, dass Betroffene sich noch mehr zurückziehen und keine Behandlung mehr suchen. Rheinland-Pfalz plant derzeit keine derartigen Maßnahmen. Stattdessen setzen wir auf eine ausgewogene und differenzierte Herangehensweise, bei der der Schutz der Allgemeinheit, die Rechte der Betroffenen und die Förderung der therapeutischen Versorgung Hand in Hand gehen. Wir stärken Prävention, frühzeitige Intervention und die Versorgung durch qualifizierte Fachkräfte. Es ist wichtig, die Menschen in psychischen Krisen zu begleiten und nicht durch Angst vor Stigmatisierung weiter zu isolieren und Wege zur Hilfe zu verbauen.
Ich halte es für essenziell, das Vertrauen in die Behandlungssysteme zu stärken und den Dialog zu fördern, um so die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Hilfe zu erhöhen – das ist der wirksamste Weg, um Gefahren vorzubeugen und Gesellschaft und Individuum gleichermaßen zu schützen. 


Alexander Schweitzer: "Zu Meldungen oder Registrierungen von psychisch erkrankten Menschen stehe ich [...] sehr kritisch. Solche Maßnahmen sind nach meinem Dafürhalten kontraproduktiv und können dazu führen, dass Betroffene sich noch mehr zurückziehen und keine Behandlung mehr suchen. Rheinland-Pfalz plant derzeit keine derartigen Maßnahmen."


LPK RLP: Nicht zuletzt die Diskussionen um die Registrierung psychisch kranker Menschen machen deutlich: Immer noch lastet auf psychischen Erkrankungen ein Stigma, obwohl fast jeder dritte Mensch in Deutschland an einer psychischen Erkrankung leidet.
Wie stehen Sie persönlich dazu? Was kann getan werden, um der Stigmatisierung entgegen zu wirken?


Alexander Schweitzer: Als Ministerpräsident liegt mir sehr am Herzen, dass niemand aufgrund einer psychischen Erkrankung stigmatisiert und diskriminiert wird. Leider erleben wir hier mit der Diskussion um Melderegister gerade einen gewissen Roll Back, der mich beunruhigt und dem wir entschieden entgegentreten müssen. 

Zum Abbau von Stigmatisierung und Tabuisierung psychischer Erkrankungen arbeitet die Landesregierung mit verschiedenen Partnern zusammen. Psychisch erkrankte Menschen und ihre Angehörigen sind die besten Botschafter, wenn es um den Abbau von Vorurteilen geht. Auch deshalb unterstützt die Landesregierung sowohl ideell wie auch finanziell das Landesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit in Rheinland-Pfalz e. V. sowie den Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker in Rheinland-Pfalz e. V. seit deren Gründung. Entsprechend § 7 Absatz 1 des Landesgesetzes über Hilfen bei psychischen Erkrankungen gehören Vertreterinnen und Vertreter der Selbsthilfe und Selbstvertretung psychisch erkrankter Personen und ihrer Angehörigen zudem dem Landesbeirat für psychische Gesundheit an.
Über die Landeszentrale für Gesundheitsförderung Rheinland-Pfalz e.V. (LZG) werden weitere Kooperationen u.a. mit kommunalen Koordinatoren für Gemeindepsychiatrie, Selbsthilfeorganisationen, Angehörigenverbänden und Fachgesellschaften koordiniert. Dazu gehören beispielsweise die Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfe (KISS) beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, die Betroffene und Angehörige bei der Gründung und Vernetzung von Selbsthilfegruppen unterstützen und deren Perspektive systematisch in öffentliche Diskurse einbringen. 

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass nichts so sehr hilft, Vorurteile und Stigmata abzubauen, wie Begegnungen. Das persönliche Gespräch, miteinander reden und sich kennenlernen, ist meist viel eindrücklicher als lange theoretische Ausführungen. Für diese Begegnung braucht es jedoch auch Menschen, die bereit sind, andere an ihrem Schicksal, ihrer Lebenssituation teilnehmen zu lassen, über ihre psychische Erkrankung zu sprechen. Dafür braucht es Mut und für diesen Mut und diese Offenheit möchte ich mich bei allen „Tabubrecherinnen“ und „Tabubrechern“ sehr herzlich bedanken!

Die LPK RLP dankt dem Ministerpräsidenten herzlich für das Interview!

[© Staatskanzlei RLP / Kay]

[Dr. A. Benecke, A. Schweitzer und S. Maur beim Parlamentarischen Abend der LZG, 24.1.2024]

17.09.2025
Zum Seitenanfang