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Vorsicht Abstinenzgebot: Grenzen sind schnell überschritten

Dass private Beziehungen zwischen Psychotherapeut*innen und Patient*innen unzulässig sind, ist gemeinhin bekannt, aber wie verhält man sich am besten bei zufälligen Begegnungen außerhalb der Praxis? Darf man sich duzen lassen? Ist es erlaubt, WhatsApp-Nachrichten zwischen den Sitzungen auszutauschen? Darf man Geschenke von Patient*innen annehmen? Darf man sich nach Beendigung der Therapie auf ein Date mit einer ehemaligen Patientin einlassen?  All diese Fragen kreisen um das so genannte „Abstinenzgebot“, das in § 6 der Berufsordnung verankert ist. Das Abstinenzgebot ist von zentraler Bedeutung zur Regelung der Beziehung zwischen Psychotherapeut*in und Patient*in und immer wieder Gegenstand der juristischen Beratung. Daher widmete die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz dem Thema „Red Flags in der Psychotherapie – das Abstinenzgebot in der Praxis" am 24. Juli 2025 eine digitale Berufsrechtsveranstaltung, zu der sich rund 90 interessierte Teilnehmer*innen einfanden.

Die Berufsordnung stellt klar: „Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben die Pflicht, ihre Beziehungen zu Patientinnen und Patienten und deren Bezugspersonen professionell zu gestalten und dabei jederzeit die besondere Verantwortung und ihren besonderen Einfluss gegenüber ihren Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen. Psychotherapeut*innen dürfen die Vertrauensbeziehung zu Patientinnen und Patienten nicht zur Befriedigung eigener Interessen und Bedürfnisse missbrauchen.“ Damit ist bei Weitem nicht nur die sexuelle Abstinenz gemeint, sondern das Spektrum ist deutlich weiter zu fassen, erläuterte Kammerpräsidentin Sabine Maur in ihrer fachlichen und berufsethischen Einordnung. So können beispielsweise auch Grenzverletzungen durch unangemessene digitale Kommunikation oder Geschenke unerwünschte „Intimität“ herstellen. Mit Bezug auf eine Veröffentlichung von Andrea Schleu führte sie so genannte „Yellow Flags“ und „Red Flags“ auf, die eine problematische bzw. unzulässige Verhaltensweise im Verhältnis zwischen Psychotherapeut*in und Patient*in markieren. Als „Red Flags“ gelten demnach beispielsweise: 

  • persönliche, private und sexuelle Kontakte und Beziehungen
  • finanzielle und/ oder geschäftliche Verbindungen
  • Große Geschenke
  • Unangekündigte Umarmungen und/ oder Berührungen der Patient*innen
  • Verbale erotische Aussagen
  • Eingehen auf sexuelle Angebote von Patient*innen
  • Verbale und/ oder sexualisierte Aggressionen, Entwertungen
  • Überschneiden im Freundes- / Bekanntenkreis
  • Gespräche über Patient*innen ohne Schweigepflichtentbindung
  • Benutzen der Patient*innen für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit
  • Enge Bezugspersonen in Behandlung nehmen

[Quelle: Schleu, A. (2021). Umgang mit Grenzverletzungen: Professionelle Standards und ethische Fragen in der Psychotherapie, S. 261. Springer Verlag]

Nicht immer ist den Beteiligten klar, wann die Grenzen des Abstinenzgebotes überschritten werden, wie die rechtlichen Ausführungen der Kammerjuristinnen Saskia Kollarich und Tamina Bührer deutlich machten. Besonders im ländlichen Raum ist die Trennung von beruflichem und privatem Umfeld oft nicht einfach, dennoch geboten. Anhand zahlreicher Fallbeispiele zeigten die Juristinnen vielfältige Verletzungen des Abstinenzgebotes auf und gaben Hilfestellung dazu, wie man sich in den geschilderten Situationen berufsrechtlich korrekt verhält. Wichtig sei in der Praxis, die eigenen Gefühle und den eigenen Einfluss zu reflektieren und sich auch nicht von den eventuellen Wünschen der Patient*innen beeinflussen zu lassen. „Die Verantwortung für ein berufsethisch einwandfreies Vorgehen trägt allein die behandelnde Psychotherapeutin oder der behandelnde Psychotherapeut“, betont die Berufsordnung. Das Abstinenzgebot gilt selbst über das Ende der Therapie hinaus: Bevor private Kontakte aufgenommen werden, ist mindestens ein zeitlicher Abstand von einem Jahr einzuhalten.

Am Schluss der Veranstaltung nutzten die Teilnehmer*innen die Gelegenheit für Fragen und bedankten sich für die gelungene und praxisnahe Veranstaltung. Für weitere berufsrechtliche Fragen stehen die Kammerjuristinnen während ihrer Sprechzeiten gerne zur Verfügung. 
[Die Sprechzeiten und Kontaktdaten finden Sie hier.]

[Screenshot vom 24. Juni 2025]

25.06.2025
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