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LPK-Mitglied Dr. Hans-Günter Weeß: Ein Berufsleben für den Schlaf

Als Dr. Hans-Günter Weeß  vor über 20 Jahren im Rahmen eines Praktikums das erste Mal in einem Schlaflabor stand, wusste er: er hatte sein Thema gefunden. Es faszinierte ihn, im Labor beobachten zu können, wie die verschiedenen Schlafphasen durchlaufen wurden und wie Schlaf, das damals noch wenig erforschte "unbekannte Drittel des Lebens",  mit naturwissenschaftlichen Methoden greifbar  wurde. Heute ist der 54-jährige Psychologische Psychotherapeut und Somnologe Leiter des interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum Klingenmünster und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher und populär-wissenschaftlicher Veröffentlichungen und spricht immer noch begeistert über das Thema Schlaf – nicht zuletzt, weil er mit seiner Arbeit dazu beitragen kann, Menschen von ihren Schlafstörungen zu heilen und  die Gesellschaft immer wieder daran zu erinnern, wie wichtig Schlaf für die physische und psychische Gesundheit ist.

Die "schlaflose Gesellschaft"
6 % der Deutschen leiden an behandlungsbedürftigen Ein- und Durchschlafstörungen, diese können also als "Volkskrankheit" bezeichnet werden. Experten unterscheiden rund 50 verschiedene Formen von Schlafstörungen, zu denen beispielsweise auch die Schlafapnoe, das Syndrom der unruhigen Beine, Albträume und Schlafwandeln gehören. Da es keine Längsschnittstudien zum Thema Schlafstörungen gibt, kann man keine verlässlichen Aussagen über die Entwicklung der Häufigkeit von Schlafstörungen treffen. Viele gesellschaftliche Entwicklungen deuten jedoch darauf hin, dass die Zahl der Menschen, die unter Schlafstörungen leiden, zunimmt und heute deutlich weniger geschlafen wird als vor 100 Jahren: Der natürliche Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen wird in unserer "24-Stunden-Non-Stopp-Gesellschaft" immer mehr aufgelöst, erklärt Herr Dr. Weeß. So leidet der erholsame Schlaf beispielsweise unter dem Druck, ständig erreichbar sein zu müssen, unter Telefonkonferenzen mit Übersee zu nächtlichen Zeiten, unter zunehmender Schichtarbeit oder unter dem Checken des Smartphones und der E-Mails vom Arbeitsplatz im Bett. Das abendliche Abschalten, Voraussetzung für einen gesunden und tiefen Schlaf, fällt immer schwerer.
Hinzu kommt das schlechte Image von angeblich faulen "Langschläfern" und "Schlafmützen"; wer wenig schläft gilt hingegen als dynamisch, leistungsbereit und hipp. Doch ein gesellschaftliches Umdenken wäre dringend nötig, fordert Herr Dr. Weeß. So wären flexiblere Arbeitszeiten und späterer Schulstart wie etwa in England sinnvoll, da dadurch die Leistungsfähigkeit und psychische Gesundheit der Menschen verbessert werden könnten. Der Psychotherapeut beklagt, dass es sich bei den Deutschen um eine "schlaflose Gesellschaft" handle. Rund 80% der Deutschen würden vom Wecker aus dem Schlaf gerissen, bevor das natürliche Schlafprogramm zu Ende durchlaufen wurde. "Würden Sie etwa Ihre Spülmaschine ausschalten, bevor das Programm durchgelaufen ist?" fragt Herr Dr. Weeß. "Da wäre das Geschirr ja noch schmutzig!" Auch das menschliche Hirn ist schlecht auf die Aufgaben des Tages vorbreitet, wenn das Schlafprogramm noch nicht beendet war. Schlafmangel kann fatale Fehler zur Folge haben, beispielsweise im Berufsleben oder auch im Straßenverkehr: Der deutschen Wirtschaft gingen jährlich bis zu 60 Milliarden Euro durch Fehlzeiten und Produktivitätseinbußen infolge Schlafstörungen verloren, was 1,6% des Bruttosozialproduktes entspräche. Doppelt so viel Unfälle würden durch Sekundenschlaf verursacht wie durch Alkohol am Steuer, so Herr Dr. Weeß.

Psychotherapie gegen Schlafstörungen
Obwohl Schlafstörungen also gefährlich und weit verbreitet sind, kursierten immer noch viele Mythen über das Thema Schlaf und Schlafstörungen würden oft falsch behandelt, berichtet Herr Dr. Weeß. Sehr häufig würden Schlafmittel eingesetzt, oft mit fatalen Folgen: Zwischen 1,1 und 1,9% der Deutschen seien abhängig von Schlafmitteln. Die psychischen Ursachen von Schlafstörungen würden häufig bei der Behandlung vernachlässigt. Dabei ist die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) mittlerweile als "first line therapy" bei Insomnie anerkannt; die AWMF-Leitlinie "Insomnie" hat Herr Dr. Weeß federführend mitgestaltet. Er beklagt, dass die Methoden der KVT-I trotz ihrer hohen Wirksamkeit noch viel zu wenig angewandt würden. Momentan arbeitet er daher an einem Fachbuch für Psychotherapeuten, mit dem er die Tools für die Therapie der Insomnie vorstellen und verbreiten möchte. Es ist ihm ein Anliegen, seinen Fachkollegen eine andere Sicht auf Schlafprobleme zu vermitteln. Zu häufig würden sich Psychotherapeuten damit beschäftigen, mit dem Patienten die Probleme anzugehen, die diese vom Schlaf abhalten. Um die Insomnie zu behandeln, sei es jedoch wichtiger, den Patienten beizubringen, die Probleme von der Nacht fernzuhalten und nicht mit ins Bett zu nehmen. Schlafstörungen seien vor allem durch innere Fehlhaltungen begründet.
In den Therapien, die am Schlafzentrum in Klingenmünster angeboten werden, kommt daher neben der speziellen Psychoedukation bei Schlafstörungen der KVT-I eine große Bedeutung zu: Patienten sollen hier lernen, welche Verhaltensweisen und inneren Haltungen den Schlaf befördern oder behindern. Besonders wichtig sei es, den Patienten beizubringen, sich vor dem Schlafen bis zum Morgen zu "entpflichten", sich also eine Pause von der Verantwortung zu gönnen. Denn Perfektionsstreben, Schuldbewusstsein oder Erwartungshaltungen an den Schlaf verhindern eine erholsame Nacht. In der Therapie bei Dr. Hans-Günter Weeß lernen die Patienten, diese inneren Haltungen zu verändern, dabei werden beispielsweise Stimuluskontroll-Techniken, Bettzeitenrestriktion, Gedankenstopp-Techniken und Phantasiereisen eingesetzt.  Nach der zweitägigen Gruppenbehandlung gelingt es zwei Dritteln der Patienten, wieder zu einem besseren und erholsameren Schlaf zu finden. Schlafmittel können häufig reduziert oder abgesetzt werden, die Lebensqualität steigt – ein schöner Erfolg für die Patienten und den Psychotherapeuten!


Die LPK RLP dankt Herrn Dr. Weeß herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.
 

Blick ins Schlaflabor

17.09.2018
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