Neue Vorstandsbeauftragte für Psychotherapie im Suchtbereich
Frau Prof. Dr. Wilma Funke hat ihre gesamte berufliche Laufbahn in den Dienst der Suchttherapie gestellt – mit überragendem Engagement und Erfolg. Seit 1. Juli 2025 ist sie Vorstandsbeauftragte für Psychotherapie im Suchtbereich der Landespsychotherapeuten-kammer Rheinland-Pfalz. Aus diesem Anlass hat die Kammer mit ihr ein Interview über die Versorgung von suchtkranken Menschen geführt.
LPK RLP: Frau Prof. Dr. Wilma Funke, Sie waren viele Jahre lang Leitende Psychotherapeutin und Mitglied der Klinikleitung der Kliniken Wied, einer Fachklinik für Psychosomatische Medizin mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitsstörungen. Darüber hinaus haben Sie sich in besonderem Maße sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch in der praktischen Umsetzung der Psychotherapie und Rehabilitation der Suchthilfe engagiert. Sie sind Gründungsmitglied des Netzwerks Psychologische Suchtforschung, das später zur Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie e.V. wurde, und waren viele Jahre im Vorstand des „Fachverbandes Sucht +“ aktiv. Im Jahr 2017 wurde Ihnen aufgrund ihres herausragenden Engagements und ihrer Verdienste im Bereich Suchttherapie der Diotima-Ehrenpreis der Bundespsychotherapeutenkammer verliehen und im Jahr 2020 das Bundesverdienstkreuz. Wie kam es dazu, dass Sie Ihre berufliche Laufbahn ganz dem Thema „Sucht“ verschrieben haben?
Wilma Funke: Ich habe in Trier studiert und kam dort in Kontakt mit einer kleinen Gruppe von Studierenden, die sich für das Thema Alkoholabhängigkeit interessierten. Das fand ich spannend und so habe ich mein erstes Studienpraktikum in der Klink Tönisstein gemacht, die auf Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit spezialisiert ist. Das hat mich sehr geprägt und später habe ich in dieser Klinik 12 Jahre lang gearbeitet, die letzten 6 Jahre als Therapeutische Leitung.
LPK RLP: Welchen Stellenwert hatte die Suchttherapie am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn?
Wilma Funke: Als ich in Tönisstein tätig wurde, fasste die Suchttherapie erst seit einigen Jahren Fuß in Deutschland. Ich war erst die zweite Psychologin (damals gab es ja noch keine Psychotherapeut*innen), die dort angestellt wurde. Daher konnte ich die Behandlungskonzepte von Grund auf mitentwickeln und erleben, wie das Thema auch in Wissenschaft und Forschung immer mehr Raum einnahm, beispielsweise eine Klassifikation verschiedener Formen von Suchterkrankungen entwickelt wurde. Ich habe damals auch an der ersten großen deutschen Katamnese zur Suchtbehandlung mitgearbeitet: Wir haben die ersten fünf Jahrgänge, die behandelt wurden, nachbefragt und dokumentiert. So konnten wir zeigen, dass die Behandlung von Suchterkrankungen wirksam ist.
„Psychotherapie ist der wesentliche Bestandteil einer umfassenden Therapie einer Suchtmittelerkrankung.“
LPK RLP: Wo setzt man als Psychotherapeut*in an, wenn man suchtkranken Menschen helfen will, ihre Abhängigkeit zu überwinden?
Wilma Funke: Zunächst müssen wir klarstellen, dass es nicht nur um Konsum und Rückfall geht. Eine Abhängigkeitserkrankung ist vergleichbar mit einer Stoffwechselerkrankung wie Diabetes oder einer psychischen Erkrankung wie einer Depression. Es handelt sich um ein sehr komplexes Störungsbild, das Körper, Geist und Seele betrifft und Auswirkungen auf alle Daseinseben hat. Es gibt sowohl soziale Ursachen als auch soziale Auswirkungen. Die meisten Suchtkranken haben ein sehr niedriges Selbstwertgefühl. Es geht also darum, einen anderen Umgang mit sich selbst zu lernen, Selbstwirksamkeit zu erleben, Kontrolle zurück zu gewinnen, sich selbst (wieder) zu achten. Auch in der Prävention ist daher übrigens das zentrale Thema, Menschen stark zu machen, um sie vor Suchterkrankungen zu bewahren. Außerdem wird in der Suchttherapie das Selbst als soziales Wesen in den Fokus genommen, also der Umgang mit anderen.
LPK RLP: Nach der Psychotherapie-Richtlinie dürfen alkoholkranke Menschen ambulant psychotherapeutisch behandelt werden, wenn sie bis spätestens zur zehnten Behandlungsstunde abstinent sind. Die Bundespsychotherapeutenkammer und viele andere Expert*innen fordern schon lange, diese rigide Regelung aufzuheben, da sie dazu führt, dass viele alkoholkranke Menschen keine ambulante Psychotherapie in Anspruch nehmen können. Wie stehen Sie zu diesem Abstinenzgebot?
Wilma Funke: Einerseits wird in der Therapie ja eine dauerhafte, stabile, funktionale Zustandsveränderung angestrebt. Und für Änderungsprozesse braucht man Belastbarkeit und Abstinenz. Schädlicher Konsum muss beendet werden, aber das sollte andererseits nicht die Voraussetzung für die Therapie sein. Außerdem geht die bisherige Abstinenzregelung fälschlicherweise davon aus, dass jemand, der eine festgelegte Zeit lang nicht konsumiert, nicht mehr abhängig ist. Das stimmt nicht. Viele Patient*innen schaffen es, ein halbes Jahr oder länger auf den Konsum zu verzichten, aber das eigentliche Problem ist nicht gelöst. Zudem haben nur rund 30% der Patient*innen nach phasenweiser Abstinenz keinen Rückfall. Ein Rückfall bedeutet aber nicht automatisch das Scheitern der Therapie, das muss man je nach Fall differenzieren.
„Schädlicher Konsum muss beendet werden, aber das sollte nicht die Voraussetzung für die Therapie sein […] Wir brauchen eine Vorgabe, die mehr Differenzierung zulässt.“
Man braucht andere Formen, um zu überprüfen, ob die/der Patient*in auf dem richtigen Weg ist. Die Erfüllung der Mitwirkungspflicht darf geprüft werden, aber nicht so, wie es momentan geschieht. Wir brauchen also eine Vorgabe, die mehr Differenzierung zulässt: Medikamente muss man beispielsweise ausschleichen können, Ersatzstoffe müssten berücksichtigt werden können. Wichtig ist, das Behandler*innen gut ausgebildet sein müssen, um das richtig einzuschätzen.
LPK RLP: Die Landespsychotherapeutenkammer betont immer wieder, dass die Behandlung von Suchterkrankungen in den Händen gut ausgebildeter, approbierter Psychotherapeut*innen liegen muss. In den Kliniken und Reha-Einrichtungen sind zur Versorgung von suchtkranken Menschen aber immer weniger Psychotherapeut*innen tätig. Woran liegt das?
Wilma Funke: Zum einen hat es ökonomische Gründe: Approbierte Psychotherapeut*innen werden leider gerne durch günstigere Arbeitskräfte ersetzt. Zum anderen kommt das Thema Sucht in der Aus- und Weiterbildung noch zu kurz und es wird zu wenig dafür getan, dass Berührungsängste gegenüber Suchtkranken abgebaut werden - obwohl rund 10 % der Erwachsenen in Deutschland von Abhängigkeitserkrankungen betroffen sind (mit hoher Dunkelziffer).
Außerdem ist festzustellen, dass Suchterkrankungen vermehrt in anderen Einrichtungen mitbehandelt werden, was ein wichtiger Schritt Richtung Entstigmatisierung ist. Wir haben in Deutschland ein sehr effizientes Versorgungssystem für Suchtkranke, aber es fußte lange Zeit auf Ausgrenzung, die man jetzt zu überwinden versucht: Die Grenzen zwischen Suchtsystem und Nicht-Suchtsystem werden aufgeweicht. Psychotherapeut*innen behandeln also Suchterkrankungen nicht mehr nur in Kliniken und Reha-Einrichtungen, die auf Sucht spezialisiert werden, sondern viele Kolleg*innen sind auf gemischten Stationen tätig, die beispielsweise Depressionen oder Ängste und auch Alkoholabhängigkeit oder andere Suchtformen behandeln.
LPK RLP: Sie sind auch als Supervisorin tätig. Welchen Ratschlag an ihre Kolleg*innen halten Sie für besonders wichtig?
Wilma Funke: Der Standard sollte sein, dass bei jedem/jeder Patient*in in der Anamnese erhoben werden sollte, ob Tabak, Alkohol oder andere Stoffe konsumiert werden oder ob es nichtstoffgebundenes Suchtverhalten gibt. Ich wünsche mir, dass Psychotherapeut*innen ihre Patientin/ ihren Patienten als ganzen Menschen sehen, die/der unter anderem ein Suchtproblem haben kann.
„Wichtig ist die gleichzeitige Behandlung der verschiedenen Störungen. Es geht nicht darum, erst mal die Sucht zu behandeln und dann den Rest.“
LPK RLP: Sie sind seit neuestem Vorstandsbeauftragte unserer Kammer für Psychotherapie im Suchtbereich. Welche Aufgaben und Ziele liegen vor Ihnen?
Wilma Funke: Ich möchte das Thema Sucht „besprechbar machen“. Es wurde lange zu wenig beachtet und ich halte eine aktive Beschäftigung mit diesem Thema für nötig. Wir wollen für die Kolleg*innen konkrete Angebote schaffen, sich mit Psychotherapie der Sucht zu beschäftigen, etwa durch Fortbildungsveranstaltungen, digitalen Austausch der Behandler*innen und Artikel und Berichte zu aktuellen Entwicklungen in Suchtpsychotherapie. Ich möchte Ängste und Hemmschwellen abbauen helfen und die Kolleg*innen ermutigen, sich die Behandlung von Suchtkranken zuzutrauen. Die Prognose ist oft gut und die Therapieverläufe vergleichsweise kurz. Es kann sehr erfüllend sein, Patient*innen auf dem Weg aus der Abhängigkeit zu unterstützen. Wenn man seine Vorbehalte überwindet, sind Abhängigkeitsstörungen psychische Erkrankungen wie andere auch.
Die LPK RLP dankt Frau Prof. Dr. Funke herzlich für das interessante Gespräch.