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40. Deutscher Psychotherapeutentag in Stuttgart

Der 40. Deutsche Psychotherapeutentag (DPT) am 13. und 14. Mai in Stuttgart forderte von der Bundesregierung noch in diesem Jahr ein Sofortprogramm für psychisch kranke Menschen. Durch eine finanzielle Förderung der psychotherapeutischen Weiterbildung müssten außerdem die Weichen für die Zukunft der Profession gestellt werden. Der DPT stellte ferner die Muster-Weiterbildungsordnung (M-WBO) fertig und beschloss die Ordnungen, die Geschäftsordnung und die Satzung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zu gendern, um ein weiteres Signal für die gleichberechtigte Ansprache aller Kammermitglieder zu setzen.

Wachsende Aufgaben für die Profession

Nach zwei digitalen Versammlungen tagte der DPT wieder in Präsenz. Birgit Gorgas begrüßte für die Versammlungsleitung die Delegierten und stellte fest, dass angesichts von Krieg, Pandemie und Klimakrise mehr Menschen psychotherapeutische Beratung und Behandlung bräuchten. Um helfen zu können, müsse die Profession dazu jedoch auch in die Lage versetzt werden. [...]

Dr. Dietrich Munz, Präsident der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg und Präsident der BPtK, bat die Delegierten vor seinem Bericht des Vorstandes um eine Schweigeminute, um an die Menschen zu denken, die in der Ukraine unter dem Angriffskrieg der russischen Armee zu leiden haben. Die Delegierten gaben ihrem Mitgefühl und ihrer Solidarität durch eine Resolution Ausdruck. [Alle Resolutionen finden Sie unten zum Download.]

Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern

Im Bericht des Vorstands stellt BPtK-Präsident Munz danach fest, dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode die Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern wolle und zentrale Punkte dafür schon im Koalitionsvertrag genannt habe. Sie wolle insbesondere die Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz in psychotherapeutischen Praxen verringern und die ambulante Komplexversorgung schwer psychisch kranker Menschen erleichtern. Munz hielt dabei allerdings schnelles Handeln für erforderlich, da die psychischen Belastungen der Corona-Pandemie den Bedarf an Psychotherapie noch vergrößert haben. Die BPtK fordere deshalb ein Sofortprogramm für psychisch kranke Menschen. Insbesondere die Versorgung von Kindern und Jugendlichen müsse dringend verbessert werden. In sozialen Brennpunkten müsse erreicht werden, dass psychisch kranke Kinder und Jugendliche mehr Hilfe bekämen. Es brauche mehr Beratungsstellen, Unterstützung der Familien, Vernetzung, Hilfen bei Sprachbarrieren und ausreichende Psychotherapieplätze, betonten auch die Delegierten. BPtK-Vorständin Cornelia Metge berichtete, dass die Politik gerade für diese Probleme ein offenes Ohr habe.
Munz erläuterte die zentralen Punkte des Sofortprogramms für psychisch kranke Menschen:

Wartezeiten auf eine psychotherapeutische Behandlung verringern

Die Bedarfsplanung müsse so weiterentwickelt werden, wie es bereits ein Gutachten für notwendig erachtet habe, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) selbst in Auftrag gegeben hatte. Danach sind rund 2.400 zusätzliche Psychotherapeutensitze notwendig. Davon ermöglichte der G-BA bei seiner Reform 2019 allerdings nur 800 Sitze. Der Gesetzgeber solle deshalb den G-BA beauftragen, die noch fehlenden 1.600 Sitze in strukturschwachen und ländlichen Gebieten, aber auch im Ruhrgebiet zu schaffen, forderte Munz. Mit diesem Vorschlag würde auch das Anliegen der Bundesregierung aufgegriffen, insbesondere die Situation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Zum einen sei jeder fünfte Sitz für Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie reserviert. Zum anderen sollten zum Sofortprogramm auch gesetzliche Regelungen gehören, die Ermächtigungen und Sonderbedarf-Zulassungen für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen erleichtern.

Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ambulant versorgen

Munz erinnerte daran, dass bereits die letzte Bundesregierung den G-BA beauftragt habe, die ambulante Versorgung schwer psychisch kranker Menschen zu verbessern. Die vom G-BA beschlossene Richtlinie erschwere jedoch die Versorgung. Sie führe zu überflüssigen Mehrfachuntersuchungen und schränke die Zahl der Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen ein, die die Planung und Koordination der Gesamtbehandlung übernehmen könnten. Es sei deutlich, dass die Krankenkassen alles dafür täten, dass dieses Versorgungsangebot nicht entstehen könne. Eine Korrektur sei auch deshalb wichtig, damit der G-BA nicht die gleichen Fehler bei der Richtlinie für Kinder und Jugendliche wiederhole. Außerdem müssten Psychotherapeut*innen die Befugnis erhalten, heilpädagogische, sozialarbeiterische und psychologische – sogenannte nicht-ärztliche sozialpädiatrische Leistungen – zu verordnen. Erst mit dieser Befugnis könne eine umfassende Planung und Koordination der Versorgung komplex psychisch kranker Kinder und Jugendlicher gelingen.

Sprachmittlung für Patient*innen ohne ausreichende Deutschkenntnisse

Die BPtK fordere seit Langem, Sprachmittlung für die Gesundheitsversorgung bei Migrant*innen und Flüchtlingen, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, zu finanzieren. Ohne ausreichende sprachliche Verständigung sei eine psychotherapeutische Behandlung schlicht unmöglich. Sprachmittlung sei auch für die meisten ukrainischen Flüchtlinge notwendig, wenn sie aufgrund ihrer Erlebnisse psychisch erkrankten. Ab dem 1. Juni 2022 seien ukrainische Flüchtlinge gesetzlich krankenversichert. Damit hätten sie grundsätzlich auch einen Anspruch auf Psychotherapie. Ohne Sprachmittlung sei sie aber praktisch nicht durchführbar. Daher fordere die BPtK gemeinsam mit anderen Organisationen, dass Sprachmittlung eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung werde. Das Sofortprogramm müsse auch hier so schnell wie möglich die Weichen stellen.

Zukunft der Psychotherapie sichern

Mit dem Sofortprogramm müsse auch die Zukunft der Psychotherapie gesichert werden, stellte Munz fest. Die Reform der Psychotherapeutenausbildung habe die Grundlagen für eine Aus- und Weiterbildung in hoher Qualität geschaffen. Die BPtK und die Landespsychotherapeutenkammern seien mit Hochdruck dabei, die Weiterbildung in ihren Ordnungen umzusetzen. Dennoch fehle in der Weiterbildung ein entscheidender Baustein: Der Gesetzgeber müsse die Finanzierung der ambulanten und stationären Weiterbildung regeln, damit die Ziele der Reform realisiert werden können.

Der 40. DPT bekräftigte diese Forderungen mit Resolutionen zur Komplexversorgung, zur Bedarfsplanung, zur Sprachmittlung und zur Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung. [Alle Resolutionen finden Sie unten zum Download.]

Abschluss der Muster-Weiterbildungsordnung

Der DPT beschäftigte sich insbesondere mit der Bereichsweiterbildung für künftige Fachpsychotherapeut*innen. Wenn Fachpsychotherapeut*innen weitere Verfahren erlernen wollen, dann ist auch das in der Muster-Weiterbildungsordnung (M-WBO) zu regeln. Der Umfang der Verfahrensqualifizierung war dazu so festzulegen, dass ausreichende verfahrensspezifische Fachkenntnisse und Handlungskompetenzen erworben werden, unter Berücksichtigung der bereits erreichten Verfahrenskompetenz während der Gebietsweiterbildung, erläuterte Bruno Waldvogel, Sprecher der Kommission Zusatzqualifizierung. Bei der Bestimmung des Umfangs musste auch in Rechnung gestellt werden, dass die Psychotherapeut*innen diese Bereichsqualifizierung in eigener Praxis, im Krankenhaus oder im institutionellen Bereich berufsbegleitend absolvieren müssen. Hierfür eine Lösung zu entwickeln, sei der „umfangreichste, komplexeste und konfliktreichste Auftrag“ gewesen, den die Kommission je erhalten habe. BPtK-Vorstand Wolfgang Schreck betonte, dass die Profession ein großes Interesse an dieser Weiterbildungsoption haben müsse. Sie biete nicht nur berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, sondern verbreitere auch das Versorgungsangebot und sei damit vor allem im Interesse der Patient*innen.

Der Entwurf der Kommission Zusatzqualifizierung hatte sich an den Anforderungen für Bereichsweiterbildungen in der Systemischen Therapie orientiert, wie sie die M-WBO für Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen vorsieht. Der Vorschlag der Kommission war deshalb, die Anforderungen an die Weiterbildung in weiteren Verfahren im Vergleich zum ersten Verfahren, deutlich abzusenken. In der Diskussion fand der Vorschlag mit dem Hinweis Zustimmung, es gehe um Weiter- nicht um Neuqualifizierung. Die Unterschiede zwischen den Verfahren dürften nicht überbewertet werden. Mit dem ersten Verfahren würden Metakompetenzen erworben, die angemessen berücksichtigt werden müssten.

Viele Fachverbände folgten dieser Argumentation nicht. Sie vertraten die Position, nach der für das zweite Verfahren Anforderungen notwendig seien, die mit denen im Erstverfahren vergleichbar sind. Um den berufsständischen Interessen entgegenzukommen, hatten sie diese im Vorfeld des DPT verringert und baten um Zustimmung zu ihrem Vorschlag. Die Fachverbände beanspruchten in dieser Frage jedoch eine spezifische Kompetenz und Autonomie in der Entscheidung. Dem hielten Delegierte entgegen, der DPT sei ein politisches Gremium und kein „Arm der Fachgesellschaften“. Das „Gefüge des ersten Verfahrens“ sei im Kommissionsvorschlag ausreichend nachgebildet und definiere in der M-WBO nur Mindestanforderungen, die jederzeit überschritten werden könnten, wenn dies notwendig erscheine. Der DPT votierte mit großer Mehrheit für den Vorschlag der Kommission Zusatzqualifizierung.

BPtK-Vizepräsidentin und LPK RLP-Vizepräsidentin Dr. Andrea Benecke setzte sich dafür ein, die M-WBO möglichst bundeseinheitlich umzusetzen. Es gehe zum einen darum, den künftigen Psychotherapeut*innen in Weiterbildung möglichst viel Mobilität zu ermöglichen. Dafür dürften jedoch die Voraussetzungen für die Anerkennung von Weiterbildungsabschnitten zwischen den einzelnen Landespsychotherapeutenkammern gar nicht oder kaum voneinander abweichen. Von großer Bedeutung sei diese Bundeseinheitlichkeit jedoch auch, um der Profession die Definitionshoheit bei den Kompetenzen zu geben, die für die psychotherapeutische Versorgung notwendig seien. Wären die Weiterbildungsordnungen der Landeskammern zu unterschiedlich, könne die M-WBO kein Anknüpfungspunkt für sozialrechtliche Regelungen sein. Dann könne es geschehen, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband festlegten, welche Qualifikationsanforderungen an Psychotherapeut*innen zu stellen sind, wenn sie im ambulanten Bereich tätig werden wollen. Um dies zu vermeiden, habe die BPtK gemeinsam mit den Landeskammern einen regelmäßigen Austausch in der Bund-Länder-AG, im Länderrat, aber auch in der AG der Geschäftsführer*innen und der Ständigen Kommission der Kammerjurist*innen organisiert. Die M-WBO sei ein lernendes System, mit dem die Profession Neuland betrete. Ihre Umsetzung müsse kontinuierlich beobachtet, evaluiert und weiterentwickelt werden.

[...] Den vollständigen Bericht der Bundespsychotherapeutenkammer zum 40. DPT finden Sie hier.

Resolutionen

Der DPT befasste sich mit vielen aktuellen politischen Themen und formulierte seine Anliegen und Forderungen in folgenden Resolutionen:

Die Präsentationen zu den Vorträgen zum Download:

Plenum (Foto: BPtK)

Sabine Maur (Foto: BPtK)

Dr. Andrea Benecke (Foto: BPTK)

23.05.2022
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