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„Mehr psychische Belastung ist kaum vorstellbar“

In einem ganzseitigen Interview befragte die Rhein-Zeitung die Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz Sabine Maur zu den psychischen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine. „Krieg und Flucht gehören zu den am meisten traumatisierenden Erlebnissen“, so Frau Maur. Die Geflüchteten litten nicht nur unter den eigenen schrecklichen Erlebnissen, sondern seien zudem in großer Sorge um diejenigen, die weiterhin in der Heimat ausharren. Viele plage ein schlechtes Gewissen, die Angehörigen zurückgelassen zu haben, zudem massive Ängste angesichts der ungewissen Zukunft. „Mehr psychische Belastung ist kaum vorstellbar“, fasst die Kammerpräsidentin zusammen. Momentan gehe man davon aus, dass rund 20% der Geflüchteten schwer traumatisiert seien. Die Zahl könne mit weiterem Kriegsverlauf steigen.

Die klassischen, biologisch im Menschen verankerten Reaktionen auf die erlebte Bedrohung seien Flucht, Kampf und Erstarrung. Diese Erstarrung sei besonders bei traumatisierten Kindern zu beobachten, die teilweise geradezu „eingefroren“ aufgrund ihrer Erlebnisse wirken.

Die psychotherapeutische Versorgung der Geflüchteten stelle eine große Herausforderung dar, erklärte Frau Maur. Zwar gäbe es genug Psychotherapeut*innen, die auch bereit seien zu helfen, doch seien die Wartezeiten auf einen Therapieplatz schon jetzt vielerorts sehr lang. Die ohnehin schon angespannte Versorgungssituation werde in Rheinland-Pfalz zusätzlich durch die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal verschärft, die den Bedarf an Psychotherapie weiter erhöht hat. In der Vergangenheit sei die psychotherapeutische Behandlung von Geflüchteten im Regelsystem der Krankenkassen oft nicht bezahlt worden, zudem bereitete die Finanzierung von Sprach- und Kulturmittlern oft Probleme.
Im Interview forderte die Kammerpräsidentin daher den Ausbau der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge, besonders in ländlichen Gebieten, mehr Therapieplätze und eine verlässliche Kostenerstattung der Behandlung in Privatpraxen durch die Krankenkassen.

Thematisiert wurden in dem Interview auch die psychischen Folgen der Nachrichten aus dem Kriegsgebiet auf Menschen in Deutschland: Der Krieg sei „ein riesiges Thema in allen Altersgruppen“, das Mitgefühl für die Betroffenen sei groß, die eigene Angst und Unsicherheit ebenfalls. Besonders für Menschen, die bereits frühere Kriege erlebt haben, seien die Bilder aus der Ukraine Trigger für damals selbst ausgestandene Ängste.

Das ausführliche Interview von Christian Kunst mit Sabine Maur erschien in der Rhein-Zeitung vom 11. März 2022, auf S. 3 unter dem Titel „Krieg ist immer ein Spiel mit Ängsten.“ Zahlende Kunden der Rhein-Zeitung können es HIER lesen.

 

[Sabine Maur]

14.03.2022
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