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Politischer Aufbruch und aktuelle gesellschaftliche Verantwortung

Am 16. und 17. Mai 2025 trat das Parlament der Psychotherapeutenschaft in Leipzig zu seiner 46. Bundesdelegiertenversammlung, dem Deutschen Psychotherapeutentag (DPT), zusammen. Die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz wurde durch die Delegierten Sabine Maur, Dr. Andrea Benecke, Ulrich Bestle, Marcel Hünninghaus und Kristina Nehls vertreten. Die Bundespsychotherapeutenkammer hat nun eine ausführliche Nachberichterstattung zum DPT vorgelegt.

Dr. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und Vizepräsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, betonte in ihrer Eröffnungsrede die besondere Bedeutung des neuen Koalitionsvertrags: Erstmals habe die Bundesregierung der Psychotherapie ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Dies sei ein politischer Durchbruch, den die Profession durch gemeinsame Kraftanstrengungen mitgestalten konnte. „Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag viel vorgenommen, um die psychische Gesundheit der Menschen umfassend zu stärken – von der Prävention und Früherkennung über die Versorgung und Fachkräftesicherung bis hin zur Digitalisierung und Entbürokratisierung. Entscheidend ist jetzt aber die Umsetzung. Wir nehmen die Koalition beim Wort“, sagte Dr. Andrea Benecke. „Die Politik braucht jetzt Mut und Fokus, damit sich auch künftige Generationen auf eine gesicherte psychotherapeutische Versorgung verlassen können.“ 

Im Fokus stehen zentrale Versorgungsfragen: Die separate Bedarfsplanung für Kinder und Jugendliche, eine Reform der psychotherapeutischen Versorgung im ländlichen Raum sowie die dringend notwendige Finanzierung der Weiterbildung. Angesichts steigender psychischer Erkrankungen und eines sich verschärfenden Fachkräftemangels forderte die Präsidentin eine rasche Umsetzung. Der Bedarf an Psychotherapie werde bis 2030 weiter steigen, während gleichzeitig viele Psychotherapeut*innen in den Ruhestand treten – die Versorgungslücke drohe, noch größer zu werden. Es sei zwar ein wichtiger Erfolg, dass die sichere Finanzierung der Weiterbildung erstmals im Koalitionsvertrag festgehalten wurde und die Politik verstanden habe, dass sie an diesem Thema nicht vorbeikommt. „Die Studierenden brauchen jetzt aber eine klare Perspektive. Das muss die Politik nun leisten. Schnell. Und darauf werden wir drängen“, betonte Benecke. „Die wenigen Weiterbildungsstellen, die es heute schon gibt, stehen in überhaupt keinem Verhältnis zum Bedarf. Die Studierenden müssen die prekäre Lage aushalten und wissen nicht, wie es nach dem Studium weitergeht. Deshalb muss die Situation der Studierenden besonders in den Blick genommen werden und bei allem, was vorschlagen wird, immer mitgedacht werden.“

Als weiteren Schwerpunkt benannte die BPtK die Rolle der Psychotherapeut*innen in der Steuerung der Patientenversorgung. Mit der psychotherapeutischen Sprechstunde sei eine zentrale Struktur etabliert worden, die sich bewährt habe. Es sei völlig illusorisch, dass die diagnostische Abklärung bei über 600.000 Patient*innen, die jedes Quartal in der psychotherapeutischen Sprechstunde vorstellig werden, von jemand anderem im Versorgungssystem sinnvoll geleistet werden könnte als von Psychotherapeut*innen. Entsprechend selbstbewusst sehe man den Debatten um die Primärversorgung entgegen.

Die Versorgung psychisch erkrankter Menschen brauche zwei tragende Säulen – eine starke ambulante und eine starke stationäre Versorgung, die sektorenübergreifend ineinandergreifen. Deshalb müsse auch die stationäre Versorgung gestärkt werden. Psychotherapeutische Expertise sei dort unverzichtbar und werde gebraucht: nicht nur für die eigentliche psychotherapeutische Behandlung, sondern auch für Notaufnahmen und Kriseninterventionen, Bereitschafts- und Nachtdienste, Aus- und Weiterbildung von Kolleg*innen, Supervision von Teams und interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Ein weiteres zentrales Anliegen sei die Prävention: Psychische Gesundheit müsse ressortübergreifend gedacht und gefördert werden – in Bildung, Arbeitswelt und Familie. Der Koalitionsvertrag gebe hier richtungsweisende Ziele vor. Diese wolle die Profession mit einer eigenen Präventionsstrategie eng begleiten.

Auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen bleibe ein Kernthema der BPtK-Arbeit, bei der Zukunftsthemen, wie die Künstliche Intelligenz in der Psychotherapie, mit einer „Digitalen Agenda 2030“ professionsintern und in enger Zusammenarbeit mit den Landeskammern beraten sowie Empfehlungen und Positionen entwickelt werden sollen. Ziel sei es, die Digitalisierung patientenzentriert, ethisch fundiert und praktisch nutzbar zu gestalten. Das sei etwa auch beim Einsatz der elektronischen Patientenakte weiterhin ein zentrales Anliegen. Benecke hob die erreichten Verbesserungen im Datenschutz für Kinder und Jugendliche hervor, mahnte aber dringenden weiteren Handlungsbedarf an.

Deutliche Kritik äußerte die Präsidentin am laufenden Qualitätssicherungsverfahren in Nordrhein-Westfalen: Es sei bürokratisch, teuer und liefere keine brauchbaren Erkenntnisse, wie eine psychotherapeutische Behandlung verbessert werden könne. Der gesetzliche Auftrag für das QS-Verfahren müsse daher gestrichen werden, am besten noch während der Erprobung. Gemeinsam müsse jedoch beraten werden, wie eine sinnvolle professionseigene Alternative aussehen könne, um die Politik davon überzeugen zu können, das Gesetz zu ändern.

Die Präsidentin unterstrich, dass psychische Gesundheit, Menschenrechte und Demokratie fest zusammengehören. In Zeiten globaler Bedrohungen sei es zentral, Haltung zu zeigen – in der Versorgung und im gesellschaftlichen Diskurs. „Die Verpflichtung auf die Menschenrechte wird immer unser ethischer Kompass sein“, so Benecke. Sie warnte mit deutlichen Worten vor Stigmatisierung und Diskriminierung: Überlegungen zu Registern für psychisch erkrankte Menschen oder eine generell unterstellte Neigung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu Gewalt seien wissenschaftlich unbegründet und gesellschaftlich gefährlich. Sie blicke daher mit Sorge auf die Ankündigung im Koalitionsvertrag, frühzeitig Erhebungen zum Risikopotenzial bei Menschen mit psychischen Auffälligkeiten anzustellen. Eine psychische Erkrankung dürfe nicht zum Kriterium für behördliche Überwachung werden. Menschen mit psychischen Erkrankungen bräuchten Hilfe, deshalb müssten Versorgungslücken geschlossen werden. [...]

Psychosoziale Notfallversorgung stärken – Profession vorbereitet in Krisenfällen

Naturkatastrophen, andere Großschadensereignisse, Attentate, aber auch die veränderte sicherheitspolitische Lage rücken den Zivil- und Katastrophenschutz verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit des Berufsstands. Der gesundheitliche Bevölkerungsschutz muss gestärkt werden. Dass Psychotherapeut*innen dabei eine zentrale Rolle einnehmen, erläuterte Sabine Maur, BPtK-Vizepräsidentin und Präsidentin der Landespsychtherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Psychotherapeut*innen seien im Krisenfall Teil des Katastrophenschutzes und dieser wiederum sei integraler Bestandteil des Zivilschutzes. Die Frage sei daher nicht, ob, sondern wann, wo und wie sich Psychotherapeut*innen beteiligen. Die Profession sei gefordert, Verantwortung zu übernehmen – koordiniert, qualifiziert und flächendeckend.

So habe beispielsweise die Flutkatastrophe im Ahrtal (2021) deutlich gezeigt: Die Profession ist handlungsfähig. Auf der Grundlage bestehender Kontakte zur Politik konnte schnell reagiert und informiert werden. Mit Hilfe des Opferbeauftragten des Landes Rheinland Pfalz und der Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz wurden kurzfristig psychotherapeutische Sprechstunden über eine Hotline vermittelt. In Zusammenarbeit mit dem Opferbeauftragten, dem Landesgesundheitsministerium und der Psychotherapeut*innen-Initiative „Soforthilfe Psyche“ wurden Gruppenangebote vor Ort organisiert – für Betroffene ebenso wie für Institutionen, die mit traumatisierten Menschen arbeiteten. Doch es fehlten koordinierte Strukturen. Neue Ideen ließen sich ad hoc kaum umsetzen. Der Übergang von der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) in die Regelversorgung war nicht strukturiert. Das sei ein zentrales Problem – besonders für Patient*innen mit Traumafolgestörungen, die auf psychotherapeutische Unterstützung angewiesen sind.

»Bis heute gibt es keine geregelte Schnittstelle zwischen PSNV und dem Gesundheitssystem“, mahnte Maur. Notwendig sei ein koordinierter Übergang in die psychotherapeutische Regelversorgung. Dazu müssten alle Akteur*innen Kenntnis der jeweils anderen Systeme haben, inklusive der relevanten Ansprechpartner*innen in Ministerien, Behörden, Kammern, Kassenärztlichen Vereinigungen, Kliniken, Krankenkassen und weiteren Institutionen. Auch für Betroffene müssten klare Informationen sowie konkrete Hilfen bei der Suche nach geeigneter Unterstützung gesichert werden. „Strukturelle Lösungen sind gefragt. Es darf nicht vom Zufall oder vom persönlichen Engagement Einzelner abhängen, ob Hilfe vor Ort funktioniert. Es braucht klare Zuständigkeiten, geregelte Abläufe und definierte Ansprechpartner*innen – auch in den Kammern“, forderte Maur. [...]

  • Den vollständigen Bericht der Bundespsychotherapeutenkammer zum 46. DPT mit allen Resolutionen zum Download finden Sie hier.
  • Eine kompaktere Zusammenfassung des 46. DPT bietet das Deutsche Ärzteblatt  hier.

 

[Die Delegierten aus RLP auf dem 46. DPT, v.l.n.r.: M. Hünninghaus, K. Nehls, S. Maur, Dr. A. Benecke; U. Bestle. Foto: BPtK, Sandrino Donnhauser]

[Dr. A. Benecke. Foto: BPtK, Sandrino Donnhauser]

[S. Maur. Foto: BPtK, Sandrino Donnhauser]

27.05.2025
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