Psychotherapeut*innen im betrieblichen Gesundheitsmanagement
Dr. Bernd Schneider ist Psychologischer Psychotherapeut und Leiter der Median Gesundheitsdienste Koblenz. Das Leistungsspektrum dieses ambulanten Behandlungszentrums geht weit über „klassische“ Psychotherapie hinaus: Unter anderem gibt es auch ein vielfältiges Seminar- und Beratungsangebot für Einzelpersonen und Betriebe, ein zentrales Thema ist dabei das betriebliche Gesundheitsmanagement. Im Interview mit der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz (LPK RLP) stellt Herr Schneider seine Institution vor und berichtet, wie vielfältig hier psychotherapeutische Expertise in untypischen Tätigkeitsfeldern eingesetzt wird.
LPK RLP: Herr Dr. Schneider, Sie sind seit 1999 Leiter der Median Gesundheitsdienste und haben sich mit ihrer Einrichtung auch Tätigkeitsbereiche erarbeitet, die bisher eher selten von Psychotherapeut*innen besetzt wurden. Können Sie uns das Leistungsspektrum Ihrer Einrichtung beschreiben?
Dr. Bernd Schneider: Wir sind ein ambulantes Behandlungszentrum mit drei Tätigkeitsfeldern: Wir bieten ambulante Psychotherapie an, außerdem ambulante Beratung und Rehabilitation bei Abhängigkeitserkrankungen. Der dritte Bereich ist das betriebliche Gesundheitsmanagement, hier haben wir mittlerweile ein sehr vielfältiges Angebot. Bei den Median Gesundheitsdiensten bieten Psychotherapeut*innen sowohl individuelle Beratung von Mitarbeiter*innen im Krisenfall an als auch Organisationsberatung. Betriebe können bei uns zahlreiche Seminare und Vorträge für verschiedene Zielgruppen buchen, beispielsweise zu den Themen Personalführung, Konfliktmanagement, Betriebliches Eingliederungsmanagement oder Resilienz und Mental Health. Wir bieten Kurzinterventionen an, stehen den Firmen aber auch für langfristige, vertraglich geregelte Zusammenarbeit zur Verfügung. Wir bilden auch betriebliche Gesundheitsberater*innen aus und wir führen Befragung, Interviews und Analyse-Workshops im Rahmen von psychischer Gefährdungsbeurteilung durch. Wir unterstützen darüber hinaus auch beim betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement, betreuen also Menschen, die beispielsweise nach einem Reha-Aufenthalt ins Arbeitsleben zurückkehren.
LPK RLP: Wie kam es zur Entwicklung dieses breiten Angebotes?
Dr. Bernd Schneider: Unsere Mitarbeiter*innen und ich waren vorher überwiegend in Suchtkliniken tätig, beispielsweise in Tönnisstein und Daun. Im Zuge der Regionalisierung sollten Ende der 90er Jahre stationäre Angebote verstärkt durch ambulante Angebote ergänzt werden. Das hat unter anderem den Vorteil, dass man Angehörige und die gesamte Alltagssituation besser in die Behandlung einbeziehen kann. Mit unserer Ambulanz für medizinische Suchtrehabilitation haben wir dann auch Suchtprävention in Betrieben angeboten, das war für die Gewerkschaften seit den 70er Jahren ein wichtiges Anliegen. Dabei haben wir schnell festgestellt, dass Sucht und riskanter Konsum zwar bedeutende Themen in den Betrieben sind, daneben aber auch beispielsweise Depressionen, Ängste und Zwänge eine große Rolle im Berufsleben spielen. Ende der 90er Jahre gab es dafür von betrieblicher Seite aber noch wenig Verständnis. Erst als das Thema „Burn-out“ verstärkt aufkam, hat sich das geändert. Aus fachlicher Sicht sehen wir diesen populärwissenschaftlichen Begriff - der ja keine medizinische Diagnose ist - kritisch, aber die Diskussion darüber hat geholfen, das Bewusstsein für den Wert psychischer Gesundheit im beruflichen Kontext zu schärfen. Dadurch war unsere Expertise auf einmal sehr gefragt.
LPK RLP: Wie hängen denn Psychotherapie und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zusammen?
Dr. Bernd Schneider: Teilweise sehen wir Mitarbeitende der Firmen, die wir betreuen, in unserer Ambulanz auch in der Einzeltherapie. Am Arbeitsplatz kann es auslösende oder protektive Faktoren für die psychische Auffälligkeit geben und diese können wir dann in der Psychotherapie gezielt angehen. Von Haus aus neigt unsere Profession dazu, sich auf die Frühentwicklung und innere Prozesse zu fokussieren und unterschätzt dabei andere Kontexteinflüsse wie den des betrieblichen Umfeldes. Ich denke, dass wir in der Psychotherapie manchmal ein bisschen „blind auf diesem Auge“ sind, wenn ich das so sagen darf. Das wird schon in der Ausbildung zu wenig berücksichtigt. Meiner Meinung nach muss die Psychotherapie den betrieblichen Kontext noch besser durchdringen und die Potentiale wie auch Belastungen dieses Lebensbereiches stärker und differenzierter im Auge haben. Das beginnt schon mit der beruflichen Anamnese und der sozialmedizinischen Einschätzung in Bezug auf den Krankheitsverlauf. Wir wissen mittlerweile aus Forschungsergebnissen der Persönlichkeitspsychologie, dass Persönlichkeitsmerkmale auch im Erwachsenenalter noch variabel sind, sie werden also auch durch Erfahrungen im beruflichen Kontext geprägt. Menschen identifizieren sich mit Ihrem Beruf und erleben dort entwicklungsfördernde Bedingungen wie Bestätigung, Entfaltungsmöglichkeiten und soziale Einbindung oder auch hemmende Faktoren wie Ablehnung, Abwertung oder fortgesetztes Misserfolgserleben. Das hat nicht nur Einfluss auf das Wohlbefinden, sondern es entstehen im beruflichen Umfeld auch wirkmächtige gesundheitsfördernde oder krankheitsauslösende Faktoren.
LPK RLP: Welche Betriebe nutzen Ihre Angebote?
Dr. Bernd Schneider: Da ist die Spanne sehr weit: Wir betreuen sowohl Betriebe mit 200-300 Mitarbeiter*innen als auch mit mehreren Tausend. Es sind sowohl gewerbliche Betriebe dabei, beispielsweise aus dem Bereich Maschinenbau, als auch Verwaltungsbetriebe. So haben wir über die Jahre gute Kenntnisse über verschiedenste Betriebe und Abläufe aufgebaut.
LPK RLP: Wie profitieren die Firmen von Ihrem Einsatz? Wie kann psychotherapeutische Expertise dazu beitragen, die Situation in den Betrieben zu verbessern?
Dr. Bernd Schneider: In unseren Seminaren für Führungskräfte lernen die Teilnehmer*innen beispielsweise, wie wichtig gute Führungskonzepte und Kommunikationsfähigkeiten sind und wie eine rollenspezifische Beziehungsgestaltung gelingen kann. Die Betriebe sollen sensibilisiert werden für den Wert einer guten Gesundheitsprävention und für Auffälligkeiten, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Sie lernen, Mitarbeiter*innen auf Probleme anzusprechen, interne Lösungen zu finden oder die Schnittstelle zum Gesundheitssystem zu aktivieren. Im betrieblichen Gesundheitsmanagement können wir Veränderungen von Prozessen und Strukturen anstoßen, bestehende Ressourcen herausarbeiten und für möglichst viele Mitarbeiter*innen zugänglich machen. In der Regel finden wir hier ein offenes Ohr, da der gesamte Betrieb von den Verbesserungen profitiert und es weniger Arbeitsausfälle gibt. Die Firmen sind uns als externen Expert*innen dankbar für die Hilfe. Meist war den Verantwortlichen ja schon vor unserem Einsatz bewusst, dass es Probleme gibt, aber sie konnten sie nicht benennen. Wir schaffen dann Klarheit. Ich bin immer wieder begeistert, wie gut strukturelle Veränderungen nach unseren Empfehlungen umgesetzt werden.
LPK RLP: Mit welchem Team stemmen Sie all diese vielfältigen Aufgaben?
Dr. Bernd Schneider: Wir haben ein sehr kompetentes, engagiertes Team aus 27 festangestellten Kolleg*innen. Am Anfang waren es vor allem Kolleg*innen aus dem Klinikbereich, also Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen. Im betrieblichen Kontext arbeiten für uns nun auch Gesundheitsmanager*innen, Berater*innen, Sozialpädagog*innen und Sozialarbeiter*innen. Manchmal ziehen wir auch zwei externe Referent*innen hinzu, im Wesentlichen bestreiten wir unsere Aufgaben aber mit den festangestellten Mitarbeiter*innen.
LPK RLP: Welche Aufgaben übernehmen Sie persönlich?
Dr. Bernd Schneider: Ich sorge dafür, dass Inhalte und Prozesse unserer Angebote gut funktionieren, dass wir unsere hohen Standards erfüllen und unser Unternehmen wirtschaftlich arbeitet. Des Weiteren bin ich aber auch gerade in der Psychotherapie im operativen Bereich tätig.
LPK RLP: In Ihrer Einrichtung arbeiten Psychotherapeut*innen in vielfältigen Betätigungsfeldern. Gibt es weitere Themenfelder, die Sie gern für Psychotherapeut*innen erschließen möchten?
Dr. Bernd Schneider: Unser Angebot passt sich immer wieder an neue Entwicklungen an, beispielsweise beziehen die Seminare zu Abhängigkeitserkrankungen mittlerweile auch verstärkt neue Formen von Suchterkrankungen ein, beispielsweise Internet- und Pornographienutzungsstörungen. Im letzten Jahr haben wir uns in einer Fachveranstaltung mit der „Kokain-Krise“ beschäftigt. Auch Vapen und die neuen Regelungen zu Cannabis sind jetzt wichtige Themen. Im betrieblichen Gesundheitsmanagement haben wir einen Facharztterminservice aufgebaut, der Mitarbeitenden hilft, Diagnostik und Behandlungstermine zu bekommen.
Ich selbst stehe aber schon am Ende meiner beruflichen Laufbahn. Daher ist mein Anliegen mehr die Stabilisierung dessen, was wir hier aufgebaut haben als die Erschließung ganz neuer Tätigkeitsfelder. Die Idee und das Konzept unserer Einrichtung soll unabhängig von dort beschäftigten Personen fortbestehen. Bei meiner Tätigkeit als Dozent und Supervisor in der Ausbildung sehe ich mit viel Wohlwollen, dass die jungen Kolleg*innen wirklich sehr gut ausgebildet werden und wie kompetent sie in den Ambulanzen oder Einrichtungen wie der unseren arbeiten. Sie lernen schnell und sind schon in der Ausbildung sehr wertvoll für ihre Patient*innen. Ich mache mir daher keine Sorgen, dass die Psychotherapie auch in der Zukunft für vielfältige Aufgaben sehr gut aufgestellt ist.
LPK RLP: Wir danken Ihnen herzlich für das interessante Gespräch!








