„Wir können auch auf gesellschaftlicher Ebene einen wichtigen Beitrag leisten“
Wie hängen Umwelt und gesellschaftliches Wohlbefinden zusammen? Welchen Einfluss hat die Klimakatastrophe auf die psychische Gesundheit und welche psychologischen Mechanismen und Motive fördern nachhaltiges Verhalten? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich der Umweltpsychologe Prof. Dr. Gerhard Reese. Auch wenn er mittlerweile am anderen Ende der Welt als „Associate Professor for Climate Change“ an der Te Herenga Waka - Victoria University Wellington in Neuseeland tätig ist, hat er durchaus Bezug zu Rheinland-Pfalz: Von September 2016 bis April 2025 hatte er die Professur für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz Landau, bzw. Kaiserslautern-Landau inne und leitete dort den Studiengang "Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie".
Am 10. Oktober 2025 erhält Prof. Reese den Deutschen Psychologie Preis für seine wegweisende Forschung zur Förderung nachhaltigen Handelns und gesellschaftlichen Zusammenhalts. Aus diesem Anlass hat die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz ein Interview mit ihm geführt:
Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz (LPK RLP): Herr Prof. Dr. Reese, in Ihrer wissenschaftliche Forschung beschäftigen Sie sich unter anderem mit dem Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die menschliche Psyche. Welche psychischen Reaktionen auf die klimatische Bedrohungslage sind typisch?
Prof. Dr. Gerhard Reese: Es gibt natürlich nicht die eine typische Reaktion. Aber was wir in unseren Surveys immer wieder messen können, sind Angst und Sorge, Risikowahrnehmung sowohl für sich selbst als auch für die Gesellschaft und die zukünftigen Generationen. Außerdem treten auch Schuldgefühle in den Untersuchungen zu Tage. Eine kleine Gruppe reagiert mit Leugnung und ignoriert das Problem.
LPK RLP: Sind bei den Reaktionen Unterschiede zwischen alten und jungen Menschen feststellbar?
G. Reese: Es gibt meines Wissens keine systematischen Altersvergleiche, aber es ist eine Korrelation in den vorliegenden Daten erkennbar: Jüngere Menschen beschäftigt die Klimakatastrophe und ihre Auswirkungen meist mehr als ältere. Allerdings muss man sagen, dass auch diejenigen, die sich große Sorgen machen und Ängste in Bezug auf den Klimawandel äußern, meist keine funktionalen Einschränkungen im Alltag haben, anders als vielleicht bei anderen Ängsten.
LPK RLP: Wie kann man aus psychologischer Sicht jungen Menschen helfen, die angesichts der Vielzahl der aktuellen Krisen mutlos oder verzweifelt sind?
G. Reese: Vor allem muss man diese Sorgen ernst nehmen und anerkennen, dass die Klimakatastrophe ein wichtiges Thema für junge Menschen ist. Zudem ist die sogenannte „Klima-Angst“ oder „Öko-Angst“ ja keinesfalls pathologisch, sondern – im Vergleich zu anderen Ängsten – durchaus rational. Es geht hier also nicht um therapeutische Behandlung im engeren Sinne, sondern eher um Begleitung, Beratung und empowerment. Es ist immer gut, über diese Ängste zu sprechen und Gleichgesinnte zu suchen, um sich auszutauschen und vielleicht auch gemeinsam aktiv zu werden.
„Die sogenannte Klima-Angst oder Öko-Angst ist keinesfalls pathologisch, sondern durchaus rational.“
LPK RLP: Wie kann man denn erreichen, dass Menschen aktiv werden und nicht resignieren angesichts der großen Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt? Wie gelingt die Motivation zum kollektiven Engagement?
G. Reese: Man muss sich bewusstmachen, dass es sich um eine kollektive Aufgabe handelt, die über die individuelle Gedankenwelt herausgeht. Die Motivation, sich zu engagieren, steigt, wenn man sich mit Gleichgesinnten zusammenschließt. Politik und Gesellschaft können kollektives Engagement fördern, indem Räume und Möglichkeiten dafür zur Verfügung gestellt werden – beispielsweise Bürger*innenräte oder andere Teilhabemöglichkeiten, die bestehende politische Prozesse ergänzen. Dazu gehört auch der Einbezug von Bürger*innen in wissenschaftliche Forschung, beispielsweise indem Bürger*innen helfen, Klimadaten zu sammeln. Das Gefühl von partizipativer Wirksamkeit ist ein sehr starker Handlungsmotivator und kann Resignation abfedern.
„Man muss sich bewusstmachen, dass es sich um eine kollektive Aufgabe handelt, die über die individuelle Gedankenwelt herausgeht. Die Motivation, sich zu engagieren, steigt, wenn man sich mit Gleichgesinnten zusammenschließt.“
LPK RLP: Sie haben auch über die Integration der Klimakrise in die psychologische Lehre publiziert – was fordern Sie?
G. Reese: Die Kernforderung lautet, „mehr Klima in die Lehre“. Wir schlagen drei Wege vor, das zu erreichen: Zum einen kann man das Themenfeld ohne großen Aufwand in bestehende Curricula integrieren, schließlich ist die Psychologie die Wissenschaft menschlichen Verhaltens. Man muss also das Rad nicht neu erfinden, sondern kann auf viel Bestehendes zurückgreifen. Es ist leicht möglich, Beispiele aus dem Bereich Klimaschutz zu integrieren, etwa wenn es um Konsumverhalten, Arbeitsergonomie oder die Einstellungs-Verhaltens-Lücke geht. Zweitens kann man dezidiert Module zu Klima-Themen entwickeln und drittens kann man interdisziplinäre Studiengänge mit psychologischer Basis schaffen, wie etwa der Studiengang „Mensch und Umwelt“, den ich in Landau geleitet habe und der Psychologie, Kommunikation und Ökonomie mit umweltwissenschaftlichen Grundlagen verbindet.
LPK RLP: Die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz räumt dem Thema „Klimakatastrophe und psychische Gesundheit“ einen hohen Stellenwert ein und bemüht sich, es immer wieder in den Fokus zu rücken. Die Kammer hat eine gleichnamige Homepage-Rubrik, hat die Broschüre „KLIMANOTFALL – Auswirkungen ökologischer Krisen auf die psychische Gesundheit. Informationen und politische Forderungen aus psychotherapeutischer Sicht" veröffentlicht und hat eine Vorstandsbeauftragte für Klimapsychologie. Welche Rolle spielen berufspolitische Institutionen für den Einsatz gegen den Klimawandel?
G. Reese: Aus meiner Sicht spielt das Engagement der berufspolitischen Institutionen eine enorme Rolle. Gerade wenn es um den Zusammenhang zwischen Klimawandel und mentaler Gesundheit geht, sollten unsere psychologischen Fachgesellschaften und Berufsvertretungen nicht schweigen. Ihre Stellungnahmen können sowohl auf ihre Mitglieder als auch auf die Gesellschaft einwirken und helfen, Themen sichtbar und präsent zu machen. Außerdem steckt hinter den Kammern und Verbänden eine große man-, bzw. women-power. Es ist wichtig, dass der Berufsstand mit einer starken Stimme spricht und sich einmischt. Außerdem können die berufspolitischen Institutionen ihren Mitgliedern auch ganz praktische Handlungsleitfäden zur Verfügung stellen, wie beispielsweise Empfehlungen für nachhaltige Konferenzen (siehe beispielsweise hier).
„Aus meiner Sicht spielt das Engagement der berufspolitischen Institutionen eine enorme Rolle. Gerade wenn es um den Zusammenhang zwischen Klimawandel und mentaler Gesundheit geht, sollten unsere psychologischen Fachgesellschaften und Berufsvertretungen nicht schweigen.“
LPK RLP: Sie werden am 10. Oktober mit dem Deutschen Psychologie Preis ausgezeichnet. – Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?
G. Reese: Ich freue mich riesig über diese Wertschätzung unserer Arbeit! Ich sehe den Preis nicht nur als Auszeichnung für meine eigene Forschung, sondern mehr als Preis für eine umweltpsychologische Teamleistung: Viele von uns haben im letzten Jahrzehnt das Fach und dessen lange exzellente Forschung aus ihrer Nische geholt und nun trägt das Fach dazu bei, sehr wichtige Themen wie Klima und Naturschutz in die Öffentlichkeit zu transportieren und sichtbarer zu machen. Der Preis ist ein tolles Signal und zeigt, dass wir uns in der Psychologie nicht nur um das Wohlfinden von Einzelpersonen kümmern, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene einen wichtigen Beitrag leisten können.
Die LPK RLP gratuliert herzlich zum Deutschen Psychologie Preis und dankt für das interessante Gespräch!