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Gruppenpsychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Jessica Dietrich bietet als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin tiefenpsychologisch fundierte Gruppenpsychotherapie für junge Patient*innen vom Vorschulalter bis 21 Jahren an. Prof. Dr. Sebastian Murken ist Psychologischer Psychotherapeut mit psychodynamischer Orientierung, leitet seit vielen Jahren eine Therapiegruppe speziell für junge Erwachsene, ist Gruppensupervisor und Vorsitzender des Institut für Gruppenanalyse Heidelberg e.V..

LPK RLP: Wir möchten mit Ihnen beiden gerne darüber sprechen, welche Besonderheiten Gruppenpsychotherapie gerade für die junge Patient*innengruppe mit sich bringt. Wie läuft die Gruppenpsychotherapie bei Ihnen organisatorisch ab?

Jessica Dietrich: Ich biete momentan zwei verschiede Gruppen an, mit je einer 100-Minuten langen Sitzung pro Woche. Die Gruppen haben vier bis sechs Mitglieder. Es sind offene Gruppen, so dass immer wieder Patient*innen in die Gruppe aufgenommen werden oder die Gruppe verlassen können. In der Regel bleiben die Gruppenteilnehmer*innen mindestens ein Jahr. Momentan sind die meisten Patent*innen zwischen 9 und 11 Jahren alt, ich habe aber auch schon Gruppen für Jugendliche bis 18 Jahren angeboten und für Vorschulkinder ab 5 Jahren, die ich in der Regel 12 Stunden sehe. 

Prof. Dr. Sebastian Murken: Ich betreibe eine Schwerpunktpraxis Gruppentherapie und biete dort viele Gruppen an. Ich habe aber gemerkt, dass die jungen Erwachsenen in ihren 20ern in den Gruppen mit älteren Patient*innen oft untergehen. Sie haben in dieser Generation sehr spezifische Probleme beim Aufbruch ins Erwachsenenleben. Die Ratschläge der Älteren sind für sie oft unpassend. Daher biete ich seit Januar 2019 eine psychodynamisch interaktionelle Gruppe speziell für junge Erwachsenen an, ebenfalls als offene Gruppe. Es gibt maximal neun Plätze, wenn einer frei wird, wird er neu besetzt. Die Patienten*innen besuchen die Gruppe einmal pro Woche und kommen meist zwei bis vier Jahre. 

LPK RLP: Die Patient*innen werden also nach Alter, nicht nach Diagnose in die Gruppen eingeteilt?

Prof. Dr. Sebastian Murken: Genau, denn unabhängig von der Diagnose handelt es sich bei meinen Patient*innen um Schwierigkeiten mit der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, an denen wir dann in der Gruppe arbeiten.

Jessica Dietrich: Ich arbeite auch störungsübergreifend, stelle die Gruppe also nicht nach Diagnose zusammen. Das zentrale Kriterium für die Zusammenstellung der Gruppe ist das Alter und damit die Lebenswelt, also beispielsweise Kindergarten, Grundschule oder weiterführende Schule. Die Zusammenstellung der Gruppe erlebe ich als große Herausforderung…

LPK RLP: Was ist der Grund dafür?

Jessica Dietrich: Ich versuche momentan eine Gruppe mit jüngeren Kindern zusammenzustellen, aber ich habe noch nicht genug Patient*innen im passenden Alter. So vergehen teilweise leider lange Wartezeiten, bis ich den Patient*innen eine passende Gruppe anbieten kann. Es wäre toll, wenn es eine Plattform gäbe, auf der man melden könnte, für Patient*innen welchen Alters man noch Gruppenplätze frei hat oder für wen man einen Gruppenplatz sucht, damit Kolleg*innen sich untereinander aushelfen können.

LPK RLP: Bis ein Gruppenplatz frei ist, sind die Patient*innen also bei Ihnen in Einzeltherapie?

Jessica Dietrich: Ja, ohnehin sehe ich die Patient*innen immer mindestens fünfmal in Einzeltherapie, bevor es mit der Gruppe losgeht und biete auch viel Kombinationstherapie an: Die meisten meiner Patient*innen sehe ich regelmäßig sowohl in der Einzel- auch in der Gruppentherapie.

Sebastian Murken: Ich biete eigentlich kaum Kombinationstherapie an, ich mache nur sehr wenig Einzeltermine, nur anfangs zur Anamnese. Wenn die Patient*innen dann mit Gruppentherapie begonnen haben, gibt es meist nur wenige Einzeltermine im Jahr pro Patient*in. Ich halte die Gruppe für ein völlig vollwertiges Therapieangebot.

LPK RLP: Wie unterscheidet sich die Gestaltung der Gruppentherapie für Kinder- und Jugendliche von der mit Erwachsenen?

Jessica Dietrich: Für die jüngeren Kinder gibt es vor allem viele spielerische Elemente, über die sie miteinander in Kontakt kommen. Außerdem werden bei den Vorschulkindern die Eltern in großem Maß mit in die Gruppe einbezogen. Bei Teenagern werden die Eltern nur zum Elternabend in die Einzeltherapie gebeten und bei jungen Erwachsenen findet keine Elternarbeit mehr statt.

LPK RLP: Mit welchen Problemen befassen Sie sich in Ihren Gruppen?

Jessica Dietrich: Die jüngsten Patient*innen stehen meist vor dem Schuleintritt und haben große Schwierigkeiten, mit anderen Kindern zu interagieren, so dass unklar ist, ob sie wirklich eingeschult werden können. Manche leiden auch unter Trennungsängsten oder anderen Angststörungen, Ausscheidungsstörungen oder zeigen aggressives Verhalten. In der Gruppentherapie sollen sie dann beispielsweise lernen, wie sie mit starken Gefühlen umgehen können, wie man Konflikte löst oder wie man andere Kinder tröstet.

LPK RLP: Und mit welchen Schwierigkeiten kämpfen Ihre älteren Patient*innen?

Jessica Dietrich: Bei den älteren Kindern und Jugendlichen ist Einsamkeit ein sehr großes Thema. Oft leiden sie unter niedrigem Selbstwertgefühl, Unsicherheiten im sozialen Kontakt, sozialen Ängsten, Depressionen. Manchmal gibt es auch Probleme mit aggressiven Verhaltensweisen oder Schulabsentismus. Viele ziehen sich zurück, beschränken sich auf digitale Kommunikation, verbringen viel Zeit online. Fast immer steht hinter den Problemen das Gefühl „am Rand zu stehen“, nicht dazu zu gehören, auch wenn es sich unterschiedlich ausdrückt.

Prof. Dr. Sebastian Murken: In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Nachfrage nach Psychotherapie bei jungen Erwachsenen deutlich gestiegen. Der Aufbruch ins Erwachsenenleben und die damit einhergehenden Entwicklungsschritte wie der Auszug aus dem Elternhaus, der Einstieg ins Berufsleben, Partnerschaft etc. bereiten Probleme und erfolgen immer später als in vorhergehenden Generationen. Die Zeit von ca. 18 bis 30 Jahren wird mittlerweile als eigene Altersstufe begriffen („emerging aduldhood“). Die Fragen, die diese Altersgruppe umtreiben, kreisen beispielsweise um das Verhältnis zur Arbeit, um Selbstoptimierung, sexuelle Identität, aber auch um die zunehmenden gesellschaftlichen Krisen. Auch in dieser Altersgruppe ist Einsamkeit ein großes Thema.

LPK RLP: Wie kann Gruppentherapie diesen jungen Patient*innen helfen?

Jessica Dietrich: Die Gruppe übernimmt Funktionen, die eine Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut gar nicht übernehmen kann und ist ein unglaublicher Katalysator: Hier kann man reale Erfahrungen mit Gleichaltrigen machen und die Symptome auf Verhaltensebene werden dabei viel besser sichtbar.Die Mitglieder der Gruppe lernen, für einander da zu sein und gemeinsam Krisen zu meisten. Es ist sehr gewinnbringend für sie zu spüren, dass sie nicht alleine sind mit ihren Schwierigkeiten. Ohnehin zählt gerade für junge Menschen die Meinung der Gleichaltrigen viel mehr als die eines Erwachsenen. Ich bin immer wieder erstaunt und auch gerührt, wie toll sich diese Gruppen entwickeln.

Prof. Dr. Sebastian Murken: Zu spüren, dass man nicht alleine ist sowie die Erfahrung des Wechselspiels aus Bezogenheit in der Gruppe einerseits und Individualität und Autonomie andererseits, ist auch für meine Patient*innen enorm wichtig. Hinzu kommt, dass kritische Rückmeldungen von Gleichaltrigen oft bereitwilliger akzeptiert werden als von Therapeut*innen, die der Generation der Eltern angehören.

LPK RLP: Welche Vorteile bietet Gruppenpsychotherapie außerdem?

Jessica Dietrich: Die Gruppe bringt einen großen Bonus für die Versorgungsgerechtigkeit mit sich: Man kann viel mehr Leute auf einmal versorgen. Außerdem merkt man sehr deutlich, dass das Anbieten von Gruppentherapie von KV-Seite gefördert wird: Das Antragsprocedere ist sehr simpel, es gibt keine Gutachterpflicht und auch finanziell ist Gruppenpsychotherapie sehr lukrativ – das ist aber auch gerechtfertigt, denn die Arbeit in der Gruppe ist anspruchsvoll: Sie ist sehr intensiv und man muss das Wohl der Gruppe, der einzelnen Mitglieder und sich selbst im Blick haben.
 
Prof. Dr. Sebastian Murken: Die strukturellen Rahmenbedingungen für die Gruppenpsychotherapie sind wirklich fantastisch und die Qualifikation ist schnell möglich. Allerdings ist Gruppenpsychotherapie auch schwierig: Gruppentherapie ist nicht Einzeltherapie in der Gruppe, sie ist ein eigenes Instrument bei dem man viele Beziehungen gleichzeitig im Blick behalten muss. Zum Kompetenzaufbau und zur Entwicklung von Sicherheit in diesem eigenständigen Verfahren rate ich unbedingt dazu, von Anfang an begleitende Supervision in Anspruch zu nehmen. Außerdem ist gute eigene Selbsterfahrung sehr hilfreich, um erfolgreich Gruppentherapie anbieten zu können. 

Jessica Dietrich: Aber es lohnt sich. Ich würde allen Kolleg*innen empfehlen, sich Gruppentherapie zu zutrauen und einfach anzufangen, der Rest ist „learning by doing“!


Die LPK RLP dankt Jessica Dietrich und Prof. Dr. Sebastian Murken herzlich für die interessanten Gespräche!

  • Einen Einblick in seine praktischen Erfahrungen mit Gruppentherapie für Erwachsene gibt Dr. Michael Broda hier.
  • Ein Interview mit Peter Andreas Staub zur Förderung von Gruppenpsychotherapie durch die Kassenärztliche Vereinigung finden Sie hier.
  • Weitere Informationen zur Zusatzqualifiaktion Gruppenpsychotherapie finden Sie hier.

 

[Jessica Dietrich und Prof. Dr. Sebastian Murken]

04.06.2025
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