Gruppenpsychotherapie: Vorteile für Patient*innen & Psychotherapeut*innen
Von Gruppenpsychotherapie profitieren sowohl Patient*innen als auch Psychotherapeut*innen. Das wird schnell deutlich, wenn man sich mit Dr. Michael Broda unterhält. Er ist Psychologischer Psychotherapeut, Lehrtherapeut, Supervisor, Mitglied der Vertreterversammlung und des Ausschusses für Berufsordnung, Ethik und Digitalisierung der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Bis zum Ende seiner beruflichen Tätigkeit hat er jahrzehntelang Erfahrung als Gruppenpsychotherapeut und Gruppensupervisor gesammelt – sowohl angestellt im klinischen Bereich als auch später in seiner eigenen Praxis. „Ich bin überzeugt, dass die Gruppentherapie der Einzeltherapie in vielerlei Hinsicht überlegen ist“, so Herr Dr. Broda. Daher bedauert er den „unsäglichen Mangel“ an gruppentherapeutischen Angeboten in den niedergelassenen Praxen und möchte seine Kolleg*innen ermutigen, solche Angebote zu schaffen.
Die Wirksamkeit und die Vorteile der Gruppenpsychotherapie wurden in zahlreichen wissenschaftlichen Studien belegt. Heute ist es zudem wesentlich einfacher als früher, Gruppenpsychotherapie anzubieten, da viele bürokratische Hürden abgeschafft wurden. „Einzel- und Gruppentherapie können beliebig kombiniert werden“, erklärt Herr Dr. Broda und ergänzt:
„Auch finanziell ist Gruppentherapie lukrativer als Einzeltherapie sobald die Gruppe drei Mitglieder hat. So ist es beispielsweise auch möglich, ohne Krankenkassenantrag, Gutachterpflicht oder weitere Formalia, vier nicht-störungsspezifische Doppelstunden Gruppentherapeutische Grundversorgung anzubieten, die zusätzlich zu den beantragten Therapiekontingenten absolviert werden können.“
Man muss allenfalls die Mitglieder der Gruppe vorher probatorisch sehen. „Vielen Patient*innen helfen schon diese acht Gruppenstunden, um neuen Mut zu schöpfen, Kontakte zu knüpfen und wieder zu spüren, dass das Leben machbar ist“, berichtet der Psychotherapeut.
In seiner Praxis liefen meist zwei bis vier Grundversorgungsgruppen parallel, mit jeweils rund acht Mitgliedern. „So konnten wir auf einen Schlag 32 Patient*innen versorgen, ihnen Anbindung und Hilfestellung geben und sie vor langen Wartelisten bewahren“.
Bei der stark angespannten psychotherapeutischen Versorgungslage ist es daher auch eine ethische Frage, Gruppenpsychotherapie anzubieten, findet Herr Dr. Broda. Aber selbst, wenn es genug Psychotherapieplätze für alle gäbe, würde er Gruppentherapie vorziehen. Seiner Erfahrung nach ist Gruppenpsychotherapie für alle Störungsbilder geeignet: „Es gibt keine Ausschlusskriterien - sofern die/der Patient*in generell therapiefähig ist, also nicht beispielsweise von Drogenkonsum oder einer Psychose beeinträchtigt ist.“
In seiner Praxis hat der Psychotherapeut gute Erfahrungen damit gemacht, gemischte offene Gruppen anzubieten. Die Gruppen wurden also nicht nach Diagnosen eingeteilt. Denn unabhängig davon, ob es sich um eine Angststörung, eine Depression oder eine somatoforme Störung handelt, gilt es herauszuarbeiten, welche Funktion ein Symptom hat und welche alternativen Lösungen ausprobiert werden können. Selbst Menschen mit Opfer- und Menschen mit Tätererfahrung können in derselben Gruppe Empathie für die jeweils andere Position lernen. Bei Menschen aus gleichen sozialen Kontexten (familiär, sozial, beruflich) muss allerdings vorher genau geprüft werden, ob die Teilnahme an einer gemeinsamen Gruppe sinnvoll ist.
Patient*innen, die neu in psychotherapeutische Behandlung kommen, haben in der Regel einen großen Bedarf nach Aufmerksamkeit und Zuwendung. Vor allem, wenn ein schweres Trauma zu verarbeiten ist, muss manchmal auch die Gruppe vor der Konfrontation mit den belastenden Erlebnissen geschützt werden. Nach einigen Einzelgesprächen kommt dann aber auch für solche Patient*innen Gruppentherapie in Frage, erklärt der Psychotherapeut.
In der Gruppe muss man sich die Aufmerksamkeit der Therapeutin/des Therapeuten dann mit allen anderen Gruppenmitgliedern teilen. Dies ist für manche anfangs nicht einfach, hat Herr Dr. Broda beobachtet. „Zurückhaltende Patient*innen kostet es anfangs manchmal Überwindung, sich in die Gruppe einzubringen und es ist wichtig, dass die/der Psychotherapeut*in diese Angst oder andere auffällige Verhaltensweisen als sinnvollen Schutzmechanismus validiert.“ Meistens werden aber schnell die Vorteile der Gruppenpsychotherapie spürbar: „Viele Augen sehen einfach mehr als zwei“, so der Psychotherapeut. Und viele Ohren hören mehr als zwei – in der Gruppe hat die/der Patient*in einen viel größeren Resonanzraum und bekommt nicht nur von einer Fachfrau bzw. einem Fachmann, sondern von verschiedensten anderen Menschen eine Rückmeldung auf seine Äußerungen und erfährt, was sein Verhalten auslösen kann. Die Gemeinschaft stützt die Patient*innen, gibt ihnen Kraft und zeigt ihnen, dass sie mit ihren Problemen und Unsicherheiten nicht alleine sind. „In offenen Gruppen nehmen erfahrenere Patient*innen die Neuen schnell unter ihre Fittiche. Davon profitieren beide Seiten. Teilweise treffen sich die Gruppenmitglieder auch privat, rufen sich an oder gehen zusammen wandern“, erzählt Herr Dr. Broda. Diese positiven Effekte führen seiner Erfahrung nach oft dazu, dass die Patient*innen weniger lang auf Hilfe angewiesen sind als in der Einzeltherapie, da sie lernen, sich im sozialen Umfeld selbst Unterstützung zu suchen und durch die Gruppe animiert werden, den therapeutischen Prozess aktiv zu gestalten: „Man kann sich hier nicht einfach zurücklehnen“. In der Gruppenpsychotherapie haben die Patient*innen mehr Eigenverantwortung und die/der Psychotherapeut*in muss bereit sein, die Verantwortung ein Stück weit abzugeben und in den Hintergrund zu treten.
Gruppenpsychotherapeut*innen sieht Herr Dr. Broda in der Rolle von „hilfreichen Kommentator*innen“: Sie sollten weniger edukativ tätig sein, sondern vor allem nachfragen, emphatisch sein, reflektieren helfen und moderieren, kurz: den Gruppenprozess unterstützend begleiten.
Damit dies gut funktioniert, ist es wichtig, anfangs Gruppenregeln festzulegen, die für Verbindlichkeit, respektvollen Umgang und Diskretion sorgen. Außerdem ist die/der Psychotherapeut*in dafür verantwortlich, die Atmosphäre angenehm zu gestalten, etwa durch die Wahl und Einrichtung eines geeigneten Raumes oder durch das Bereitstellen von Mineralwasser im Sommer.
„Als Gruppenpsychotherapeut*in ist man immer wieder gezwungen, mit neuen – manchmal verblüffenden – Wendungen im Gruppenprozess umzugehen und muss dabei das Wohl aller Teilnehmer*innen im Auge behalten. Insgesamt ist die Arbeit mit der Gruppe anstrengender, aber auch befriedigender als Einzeltherapie“, resümiert Herr Dr. Broda. „Ich hatte schon immer ein großes Interesse an Menschen und den Gründen für ihr Handeln – eine Gruppe mit vielen Menschen finde ich daher besonders spannend. Wenn man es mit dieser Haltung angeht, macht die Arbeit mit der Gruppe Riesenspaß“.
Die LPK RLP dankt Herrn Dr. Michael Broda herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.
- Ein Interview mit Jessica Dietrich und Prof. Dr. Sebastian Murken zum Thema Gruppentherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen finden Sie hier.
- Ein Interview mit Peter Andreas Staub zur Förderung von Gruppenpsychotherapie durch die Kassenärztliche Vereinigung finden Sie hier.
- Weitere Informationen zur Zusatzqualifiaktion Gruppenpsychotherapie finden Sie hier.